[Backstage-list] Kreuzfahrt im Dritten Reich
J Becker
plaann at gmx.net
Fr Dez 30 00:29:04 CET 2005
Frankfurter Allgemeine Zeitung Reiseblatt
Denunzianten, Bier und Wein
Ein Urlaubskonzept für die Verführung des ganzen Volks: Kreuzfahrt im
Dritten Reich / Von Rainer Schauer
In seiner Novelle "Im Krebsgang" beschrieb Günter Grass den Untergang
der "Wilhelm Gustloff", die am Abend des 30. Januar 1945 von drei
russischen Torpedos in der Ostsee versenkt wurde. In der Diskussion,
die sich an der literarischen Verarbeitung dieses Ereignisses
entzündete, der Frage auch von Schuld und Leid der Deutschen im Zweiten
Weltkrieg, kam nur am Rande die Rolle der "Wilhelm Gustloff" im Gefüge
der nationalsozialistischen Freizeitindustrie zur Sprache. Bis 1939 war
dieses Schiff der größte und modernste Kreuzfahrtdampfer der Welt und
dazu das Flaggschiff der KdF-Flotte, die als "Künder und Symbol" des
Nationalsozialismus in See stach. KdF stand als Kürzel für die
nationalsozialistische Gemeinschaft "Kraft durch Freude", die im Jahre
1934 als Reiseveranstalter- und Tourismusorganisation der Deutschen
Arbeitsfront ihre Arbeit aufnahm. Die DAF hatte den Platz der
zerschlagenen Gewerkschaften und Angestelltenverbände übernommen und
sie als "Arbeiter der Faust" und "Arbeiter der Stirn" unter den
Symbolen Hakenkreuz und Zahnrad vereint.
Für die Menschen im Dritten Reich - ob Arbeiter, Angestellte oder
Parteifunktionäre - war damals eine Kreuzfahrt an Bord eines
KdF-Dampfers ein Urlaubstraum, der auch für die kleinen Leute in
Erfüllung ging. Allerdings waren sie, entgegen den Propaganda-Parolen,
immer eine Minderheit unter den Passagieren. Von 1934 bis 1939 standen
zwölf Hochseeschiffe in KdF-Diensten: die "Dresden", die 1934 vor
Norwegen auf Grund lief und durch ein Schiff mit dem Namen "Der
Deutsche" ersetzt wurde, die "Sierra Cordoba", die "Oceana", die
"Stuttgart", die "Berlin", die "Monte Olivia", die "Monte Sarmiento",
die "Columbus", die "St. Louis", die "Wilhelm Gustloff" und die "Robert
Ley", die auf den Namen des DAF-Führers getauft worden war. Nur die
beiden letztgenannten Schiffe, so Wolfhard Buchholz in seiner 1977
veröffentlichten Dissertation "Die nationalsozialistische Gemeinschaft
KdF", wurden im Auftrag der DAF gebaut und waren auch deren Eigentum.
Alle anderen Schiffe wurden von deutschen Reedereien wie der
Hamburg-Amerika-Linie oder der Norddeutschen Lloyd gechartert. In
amerikanischen Quellen dagegen heißt es, im Jahre 1935 habe "Kraft
durch Freude" das Kreuzfahrtschiff "Der Deutsche" für 42 Millionen
Reichsmark von der Hamburg-Amerika-Linie gekauft.
In Friedenszeiten dampften die KdF-Kreuzer durch die Fjorde Norwegens,
zur Südküste Englands, besuchten Stockholm, die finnischen Schären und
die baltische Küste; man sah die weißen Dampfer in Lissabon, vor
Madeira, den Azoren und den Kanaren. Reiseziele waren außerdem die
italienischen Küstenstädte Genua, Neapel, Palermo, Bari und Venedig,
ferner Tripolis, Athen, Delphi und Split. Für das Ende des Jahres 1939
plante KdF angeblich sogar eine Seereise mit zehn KdF-Dampfern nach
Japan. Aber da fuhren die weißen Schiffe schon im grauen Tarnanstrich
als Truppentransporter übers Meer oder lagen wie die "Wilhelm Gustloff"
als Wohnheim für künftige U-Boot-Fahrer in Gotenhafen vor Anker. Dort
legte das Schiff Ende Januar 1945 zu seiner letzten Fahrt ab.
Unter dem Jubel der Bevölkerung war es am 5. Mai 1937 in Hamburg vom
Stapel gelaufen. Die Witwe von Hitlers Statthalter in der Schweiz
taufte das Schiff auf den Namen ihres ermordeten Mannes. Wie die
"Wilhelm Gustloff" war auch die 1938 in KdF-Diensten gestellte "Robert
Ley" eine luxuriöse Ausnahmeerscheinung in der damaligen
Kreuzfahrtwelt, sieht man von den schnellen Dampfern im Liniendienst
auf der Strecke Europa-New York ab. So bot die "Wilhelm Gustloff"
ausschließlich Zwei- und Vierbettaußenkabinen, unterschiedliche Klassen
waren unbekannt; in jeder Kabine floß Kalt- und Warmwasser, es gab
Zentralheizung und Klimaanlage. Den eintausendfünfhundert Passagieren,
die von mehr als vierhundert Besatzungsmitgliedern umsorgt wurden,
standen neben den Restaurants mehrere Gesellschaftsräume, Wintergarten,
Bibliothek, Schreibzimmer und Rauchsalon zur Verfügung. Ärzte waren an
Bord, Animateure und, natürlich, die Spitzel der Partei.
Die anderen KdF-Dampfer konnten bei weitem nicht den Komfort der
beiden Vorzeigeschiffe bieten. So wurden die Kabinen der "Oceana"
teilweise mit sechs Personen belegt. Die Spitzel registrierten den
Unmut bei den Passagieren. Auf dem Schiff "Der Deutsche" waren die
Kabinen so eng, daß sich ihre vier Bewohner nicht gleichzeitig
ankleiden konnten. Zwei von ihnen mußten jeweils auf dem Gang warten.
Die "Stuttgart" gar war ein Drei-Klassen-Schiff mit unterschiedlicher
Kabinengröße und -ausstattung. In der C-Klasse mußten die Gäste auf
fließendes Wasser verzichten, auf dem B-Deck floß es nur kalt aus den
Hähnen, erst die A-Klasse-Passagiere konnten Kalt und Warm mischen.
"Obwohl die Unterkünfte auf den Schiffen oft überbelegt waren", heißt
es in der 1976 erschienenen amerikanischen Untersuchung "The KdF
Movement in Nazi Germany", "und Ehepaaren keine gemeinsame Kabine
garantiert werden konnte, wurden doch alle Anstrengungen unternommen,
den Seereisenden den Aufenthalt so komfortabel wie möglich zu
gestalten. Essen gab es im Überfluß, Fleischgerichte wurden zweimal am
Tage serviert . . . Zigaretten, Spirituosen und Bier waren steuerfrei
zu kaufen, durften jedoch nicht mit von Bord genommen werden."
Die Animation an Bord war festes Programm. Vom frühen Morgen an, wenn
ein Trompetenstoß die Passagiere weckte, bis spät in die Nacht waren
die Tage verplant - mit gemeinschaftlichen Spielen, Leibesübungen,
Vorträgen, Konzerten und den "Bayerischen Abenden". Der
"Time-Life"-Korrespondent William D. Bayles, der an einer KdF-Seereise
teilnahm, wunderte sich über "riesige Mengen von Bier und Wein", die
von den deutschen Passagieren konsumiert wurden. Erstaunt registrierte
Bayles auch, welch aufregendes Erlebnis es für "diese einfachen
Menschen" an Bord war, in den dicken Teppichen zu versinken und in den
luxuriösen Gesellschaftsräumen Platz zu nehmen.
Diesen Luxus konnten die Arbeiter der Faust und Stirn für relativ
wenig Geld genießen, denn KdF subventionierte alle Fahrten. Deshalb
lagen die Preise für KdF-Seereisen beträchtlich unter denen der
privaten Konkurrenz. So verlangte beispielsweise die Reederei
Hamburg-Amerika-Linie für eine dreiwöchige Seereise zu den Fjorden
Norwegens 425 Reichsmark. Rechnet man den Preis einer einwöchigen
KdF-Fjord-Kreuzfahrt von 59,50 Reichsmark hoch, dann hätte der
entsprechende Preis für drei Wochen bei weniger als zweihundert
Reichsmark gelegen, die Bahnanreise nach Hamburg und volle Verpflegung
an Bord inklusive. Der Reisekonzern KdF charterte auch die "Admiral",
die von 1936 an täglich Ausflügler nach Helgoland schipperte; 1938
begann KdF zudem Flußkreuzfahrten auf der Donau anzubieten.
"Bereits 1936", schreibt Buchholz, "hatten die KdF-Seereisen das
Dreifache der Passagierzahlen aller deutschen und englischen Reedereien
erreicht, die Kreuzfahrten veranstalteten." Insgesamt liefen von 1934
bis 1939 KdF-Schiffe zu fast siebenhundert Hochseekreuzfahrten aus, an
denen achthunderttausend Passagiere teilnahmen. Dann fuhren die
Vergnügungsdampfer in den Krieg.
Text: F.A.Z., 22.12.2005, Nr. 298 / Seite R2
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