[Autonomie] anmerkungen zu unserem projekt
martin schitter
ms at mur.at
Thu Apr 9 17:39:28 CEST 2020
obwohl es natürlich wie immer viel zu spät und unter fürchterlichem
zeitdruck passiert, hier ein paar anmerkung zu unserem projekt, die ich
zur abwechslung einmal bewusst schriftlich festhalte, um mich einerseits
selbst auf des heutige treffen vorzubreiten, anderseits aber auch gerne
mit euch teilen will, weil wir ja leider doch immer wieder im kreis
diskutieren bzw. ganz wesentliche grundsätzliche orientierungen offenbar
unterwegs ständig verloren gehen.
ich kann das natürlich nur aus meiner ganz persönlichen perspektive
heraus beschreiben, die aber natürlich nur einen teil abdeckt bzw.
darauf setzt, dass auch andere in ergänzender weise ihrer zugänge,
gestalterischen arbeitsschwerpunkte und individuelle handschrift in der
weiteren umsetzung einbringen.
auch wenn es darum geht, tatsächlich gemeinsam an einem größeren
arbeitsvorhaben zusammmenzuarbeiten und etwas akzeptables dabei
herauskommen soll, ist es doch keine vorhaben, wo alles bereits fertig
geplant ist, und nur mehr die abschließenden umsetzung an dritte
delegiert werden soll!
genau diese form der "arbeitsteilung"(?) habe ich im kunstumfeld ohnehin
oft genug erlebt bzw. als umsetztender techniker praktisch erlitten, als
das mich es in gleicher weise halten möchte.
umgekehrt aber wieder, ist es mir tatsächlich ein ganz wesentliches
anliegen, dass wir uns auch in handwerklich-technischer hinsicht um eine
umsetzung bemühen, die über den alltäglichen "gebrauch" technischer
mittel bzw. ihre bekannte und überall verwendete anwendung hinausgeht.
es sollen also wirklich auch neue werkzeuge und mittel der umsetzung
ersonnen und erprobt werden bzw. aktuelle grenzen der
gestaltunsmöglichkeiten im medialen raum ausgelotet werden.
das ist genau der teil, der mir persönlich an der sache am wichtigsten
ist -- also: netz- und medeienkunst im engeren sinne.
dass das ganze im radio zu hören ist und das spiel mit den dort
verfügbaren möglichkeiten eine schnittmenge mit experimentelleren formen
der musik od. dem spiel mit sprache bildet, ist ohnehin von vornherein
klar, aber daneben scheint es doch auch eigentümlichkeiten der
angesprochnen zugangsweise zu geben, die sie von den benachbarten
arbeitsfeldern doch wieder trennt.
ob's wirklich eine "kunst" ist, auf die ich mich hier berufe, ist gar
nicht so einfach zu beantworten. jedefalls geht's hier um
gestaltungsformen, die sich im gegensatz zu den meisten traditionellen
kunstgattungen über keine unmittelbare repräsentation in der welt der
sinne bzw der unmittelbaren wahrnehmung berufen könnte, wo man u.u.
einem unzweifelhaft erlebtem "schönen" suchen könnte.
aber diese reichlich vereinfachende suche nache einer bestimmung des
"ästhetischen", hat man ja auch in den anderen kunstgattungen
großtenteils hinter sich gelassen. und gerade in dieser loslösung von
den ursprünglichen wurzeln, scheint etwas zu berühren, in dem auch die
netz- und medienkunst große gemeinsamkeiten zum gestalterischen spiel in
den anderen sparten aufweist: da wie dort versucht man eine einer gar zu
engen bindung an den bloßen gebrauch zu entkommen.
so wie eben anspruchsvollere literatur heute nicht unbedingt wie ein
einkauszettel gelesen werden sollte, der alleine als erinnerstütze bzw.
des verzweifelten festhaltenwollens wegen geschrieben wurde, und auch
befriedigende cineastische kost nur in ausnahmefällen lehrreiche
politische aufklärung illustriuert, versucht eben auch die netz- und
medienkunst in ihrem kern dem blossen gebrauch elektronischer
umsetzungsmittel diametral entgegenzuwirken od. vielmehr deren
allgegenwärtigikeit und praktischen einfluss auf unser leben
heranzuziehen, um im spielerischen eingriff genau diese wirkmacht in
frage zu stellen bzw. mit ihren eigenen mitteln auszuhebeln -- sie vom
bloßen mittel zum zweck und der unterordnung unter vorgegebene ziele zu
befreien.
das ist genau der punkt, wo mir der begriff der "autonomie" im
zusammenhang mit künstlerischen bemühungen tatsächlich noch immer
relevant erscheint. ich persönlich verweigere mich hier auch weiterhin
der meinung des zeitgeists, wo man diese zugangsweise und spezifische
qualität künstlerischer bemühung mittlerweile durchwegs leugnet oder für
überholt erklärt.
zurück aber zu den konkreteren dingen bzw. dem, was ich dann letztlich
doch wieder gerne an geräuschen aus dem bauch eines großen walfisches
oder dem maschinenraum heraus in irgendeiner weise lustvoll miterlebbar
machen möchte:
ich habe vorgeschlagen, dass wir uns in der umsetzung ganz bewusst von
stark zentralistischen formen der präsentation -- dem broadcast
paradigma des klassischen rundfunks, der perfomance des aktiven
künstlers auf der bühne und all den dingen, die irgendwo auf gut
bewachten zuverlässigen servern laufen, verabschieden. statt dessen soll
die generierung des outputs im webbrowser und handys in dezentraler
weise umgesetzt werden -- genauso, wie die ja auch im restlichen alltag
längst die tradierten vermittlungsinstanzen in dieser weise abgelöst wurden.
als umsetzungsmöglichkeit bzw. grobe vorgabe für die
softwarearchitektur, halte ich weiterhin sgn. "entity component systems"
(ECS) für ein interessantes schema, um hierachischen vorgaben und
gestaltungsprinzipien zu entkommen. über dieses architekturmodell, das
speziell im umfeld der computerspielentwicklung mittlerweile recht
bedeutsam geworden ist, gibt es im netz ohnehin unmengen zu lesen und zu
lernen. vieles davon betrifft natürlich nur techische details und
performancevorteile, die für uns überhaupt keine rolle spielen. warum
ich diese gestaltungsschema trotzdem für derart interessant halte, hat
mehr mit der damit realisierbaren modularen erweiterbarkeit zu tun. es
gibt hier also keinen ganz klar definierten kern, eine darauf
aufsetztende steueroberfläche u.ä., sondern vielmehr ein nebeneinander
von verschieden gleichzeitig operierenden teilsystemen, die sich jeweils
nur einen für sie interessanten teilbereich aus dem gesamtsystemzustand
herausgreifen, ihn auf ihre weise prozessiern, verändern od. in andere
formen übersetzten.
genau diese modell, der sich ergänzenden modularität, würde ich mir auch
von unserer lösung wünschen, auch wenn wir vielleicht in der praktischen
umsetzung manche abstriche davon machen werden müssen bzw. entsprechend
unserer beschränkten kräfte wahrscheinlich nur sehr skizzenhafte
andeutungen realisieren können.
natürlich beschäftig mich auch die frage, wie ein derartiges experiment
dann letztlich tatsächlich klingen kann bzw. in vertretbarer weise auch
von anderen als interessant und zum nachdenken motivierend erlebt werden
kann. ich muss aber zugeben, dass ich in der frage ohnehin viel mehr
vertrauen in andere aus unserem kreis setze. statt dessen grüble ich
selbst eher über die frage, wie man im inneren einer solchen apparatur
tatsächlich eine dynamik entfachen kann, die ohne dass es gleich musik
wäre od. zu hören ist, doch einiges mit den fragestellungen zu tun haben
dürfte, die man auch dort in der gestaltung von komplexen abläufen und
konzeptuellen ideen endecken dürfte.
dieser punkt ist mir besonders wichtig, weil er wohl am ehesten jenen
schicht berührt, wo auch ich durchaus etwas nach außen hin erkennbar
werden lassen möchte -- allerdings weniger, um etwas über die welt dort
draußen, und die wunderbaren lösungsvorschläge mit der wir diese retten
zu können glauben, sondern vielmehr über sich selbst auszusagen -- wobei
sich letzteres natürlich auf die maschine bzw. jenes werk bezieht, an
das man über längere zeit mühen in der erstellung geopfter hat bzw. in
das man auf diesem weg seine gedanken und [bewussten wie unbewussten]
entscheidungen in indirekter weise eingeschrieben hat.
ja -- das ist es im wesentlichen, worum es zumiundest mir noch immer
geht. es ist noch immer sehr vage und vielleicht für aussenstehende
nicht wirklich nachvollziehbar, aber genau deshalb treffen wir uns ja,
um das gemeinsam kritisch zu begegenen und uns gegenseitig in der lösung
offener fragen und umsetzungsmöglichkeiten zu unterstützen!
mit lieben grüßen
martin
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