+comunity+ spät aber doch: biologismus & so
Reini Urban
rurban at x-ray.at
Mi Apr 9 13:38:12 CEST 2003
Gerhard Zehner schrieb:
> warum ich biologismen & naturalismen skeptisch betrachte:
> (mal wieder haus&garten-theorie)
>
> 1: begriffsklärung:
> - biologismus meint, dass eine (natur)wissenschaft einen
> wahrheitsanspruch stellt, der gesellschaftlich wirksam wird (siehe zb.
> rassentheorie der nazis)
keine wissenschaft stellt den wahrheitsanpruch. das tun nur religionen.
wissenschaften versuchen sich manchmal möglichst objektiv einer
hypothetischen abstrakten wahrheit anzunähern, verifizierbar und
wiederholbar, meist aber ist der wahrheitsanspruch komplett
nebensächlich. hauptsache das modell ist in sich stimmig.
ich stelle meine "wahrheiten" insofern zu verfügung, indem ich annehme,
daß sich jeder bewußt ist, das meine aussagen inbesonderer
künstlerischer oder kultureller natur nur für mich persönlich
gültig sind.
> - naturalismus meint eine technik, die bestimmte erkenntnisse
> forciert/privilegiert (gegenüber anderen erkenntnissen) und diese zur
> "naturhaftigkeit" erklärt - der prozess der wiederholung dieser
> behauptung - bis sie sich in die köpfe der menschen eingeschrieben hat
> (meist durch herrschafts/macht-verhältnisse) wird als "naturalisierung"
> beschrieben
>
> 2: erkenntniss & "wahrheit":
> - ich gehe davon aus, dass meine wahrnehmung einer sache meinen
> wirklichkeitsbegriff dieser sache bewirkt und nicht die sache selbst -
> das >ding an sich< - weil eben meine wahrnehmung zwischen >dem ding< und
> meinem denk/reflexionsapparat steht
> - dh. meine wahrnehmung einer sache ist "wirklich" (eben wahr), nicht
> die sache selbst (die hat wahrscheinlich eine wirklichkeit/wahrheit die
> von meiner wahrnehmung abweicht)
>
> 3: sprechen & "wahrheit":
> - der (oder ein) umgekehrte(r) akt von wahrnehmung ist sprechen, also
> das kommunizieren über meine wahrnehmung - hier trete ich in interaktion
> mit anderen individuen
> - dh. wir sprechen auch nie über die dinge an sich, sondern über unserer
> wahrnehmung der dinge - die kann individuell sehr verschieden sein
ich spreche sehr viel über dinge an sich. weil hinter der äußeren form
der dinge ist auch (rein platonisch von mir aus) ihre idee.
darüber soll man auch reden. tut man auch meistens. besonders ich als
mathematiker.
> - die konsequenz daraus ist, dass das sprechen/kommunizieren über die
> dinge wahrheit/wirklichkeit überhaupt erst produziert/konstruiert
komische konsequenz. das erinnert sehr an frank tipler, der ja in einer
ähnlichen überzeugenden (übrigens von der österreichischen katholischen
kirche gesponserten) weise, eindringlich nachgewiesen hat, das die
menschheit unsterblich sein wird.
http://www.fourmilab.ch/documents/tipler.html
http://www.fourmilab.ch/documents/eht.html
> dies wiederum führt zu 2 konsequenzen:
> 1. worüber am meisten gesprochen wird, welches sprechen zugelassen wird
> und welches nicht (durch herrschafts/machtverhältnisse) wird
> entscheidend für die konstruktion von wahrheit/wirklichkeit
feministische pseudowissenschaft. projektion interner probleme auf andere.
> 2. ich (selbst!) kann durch sprechen wahrheit/wirklichkeit
> konstruieren/produzieren
sag ich auch immer.
> ...und keine wahrheit/wirklichkeit ist absolut...das ist vielleicht der
> wichtigste aspekt bei der sache
beweis?
> ....und somit auch nicht "biologische erkenntnisse", weil die eben auch
> nur aus gewissen interessen zustande kommen
absoluter, nein. relativer blödsinn.
> und noch ne andere ebene:
> - wir haben an anderer stelle in der diskussion festgestellt, dass in
> sexualität als triebstruktur a priori macht&gewalt eingeschrieben ist,
> wie in jede triebstruktur (weil sie egoistisch ist)
schwachsinn. zuviel lorenz gelesen, oder? mich würde deine quelle
interessieren, woher dieser gedankengang kommt. das scheint sich
auszubreiten.
einen ähnlichen fehler beging zB auch gettoattack in ihrem FAQ.
http://www.gettoattack.net/faq.htm
"Toleranz aber ist keine Alternative zum gesellschaftlichen
Ausschluss, sondern eher dessen Fortsetzung mit anderen Mitteln. Sie
bestätigt ein Machtgefälle, in dem tolerant gegenüber dem anderen nur
sein kann, wer die Wahl hat zwischen der Toleranz und der Intoleranz.
Das Prinzip der Toleranz impliziert daher ein Prinzip der
Diskriminierung, indem es ein hierarchisches Verhältnis zwischen
Subjekten und Objekten der Toleranz festschreibt und fortschreibt."
egoismus hat nix mit macht & gewalt zu tun. in der sexualität ist
genausoviel altruismus wie egoismus. von meinem beschränkter sicht der
dinge aus zumindest.
> - biologie als disziplin neigt dazu, sich in erster mit
> körperkonstruktionen & triebstrukturen zu beschäftigen - der menschliche
> kognitions-apparat oder besser seine möglichkeit (also das was ich
> denken kann - meine ratio) bleibt der biologie weitestgehend
> verschlossen (bitte um aufklärung, falls ich da falsch liege)
> - eine entfesselung biologistischer kräfte/triebstrukturen hat uns zum
> sozial-darwinismus geführt (das recht des stärkeren)
postmoderner, anti-liberaler, pseudo-humanistischer blödsinn.
wir haben ihn seit tausenden von jahren überwunden. das nennt man
langläufig sozialisation.
oder meinst du die sexualisierung in der werbung? (neil postman)
das istwohl kaum entfesselung, sondern eher fesselung.
> - eine befreiung der individuen in einer sozialen gesellschaft kann nur
> durch überwindung (kontrolle, >weiterarbeiten an<, nicht >zerstörung<)
> von biologistischen triebstrukturen erfolgen
calvinismus? alles tiefe ist bös.
das wurde in den letzten 20 jahren wohl auch ad absurdum geführt.
wer redet übrigens von zerstörung? marxismus dürften wir inzwischen wohl
hinter uns haben.
von biologismus hat übrigens auch keiner angefangen. in die rassismus
falle (siehe sexismus definition) wird wohl keiner freiwillig tappen.
--
Reini Urban
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