[Backstage-list] Nature de Luxe

Andrew Phelps aphelps at gmx.net
Do Sep 9 16:51:26 CEST 2004


Buchpräsentation für Backstage List

A n d r e w   P h e l p s

NATURE DE LUXE



Menschen machen komische Sachen. Mit großem Aufwand bauen sie sich Häuser, 

um der Natur ein Schnippchen zu schlagen. So etwas nennt man Zivilisation. 

Mit großem Aufwand verzichten Menschen aber auch gerne auf die evolutionär 

erstrittenen Vorteile der Sesshaftigkeit. So etwas nennt man Camping-Urlaub. 

Den Menschen ist nicht bewusst, dass sie damit etwas Bedeutsames tun... 



NATURE DE LUXE  Andrew Phelps mit einem Text von Oliver Elser

Verlag Anton Pustet Salzburg buch at verlag-anton-pustet

deutsch/englisch  112 Seiten

20x24 cm, 67 Farbabbildungen

Leinenband mit Prägung und Schutzumschlag



28,-  Euro

ISBN 3-7025-0492-3


Bestellen:  www.andrew-phelps.com

Es erscheint eine Sonderpublikation mit Originalprint, Auflage 33. 
Info unter www.andrew-phelps.com




Camping,  Oliver Elser
 

Kein Mitteleuropäer, der in geordneten Verhältnissen lebt, würde es ertragen, wenn die Nachbarwohnung nur mit einer Zeltplane von der eigenen abgetrennt wäre. Keine Hausfrau ginge gerne auf den Hof, um das Geschirr ihrer Familie nach dem Essen im Kreise der anderen Bewohnerinnen abzuwaschen. Unter gar keinen Umständen kämen in einem Wohnungsbau Gemeinschaftseinrichtungen wie Duschen oder WCs in Frage.

 

Auf dem Campingplatz hingegen fallen die Barrieren, hier entsteht eine Gemeinschaft auf Zeit, die aus der scheinbaren Not die Zutaten für einen glücklichen Urlaub gewinnt. Aus der Enge entstehen Bekanntschaften. Ach, sie haben auch zwei Kinder und ihr Platz ist direkt am See? Ja, wir kommen gern später noch vorbei.

 

Die Naturmenschen und Eigenbrödler wird man hier nicht finden, auch nicht die überstressten Angestellten, die mit dem Urlaubsbeginn in ein komatöses Nichtstun meinen verfallen zu müssen. Camping-Ferien sind von ständiger Betriebsamkeit erfüllt, wobei meist alle genau dasselbe tun, sonst könnten ja auch keine Kontakte beim Einkaufen und Abwaschen geknüpft werden.

 

Aber auf dem Campingplatz versammelt sich keine egalitäre Gesellschaft aus lauter Brüdern und Schwestern. Die Gehaltsklassen sind an der Wahl der Behausung deutlich abzulesen und nicht selten sorgt der Platzwart dafür, dass Zelte neben Zelten stehen und die Wohnwagen unter sich bleiben. In den beiden Großgruppen wiederum existieren tausend feine Abstufungen. Einzelzelte bilden das unterste, in der Gebührenordnung des Platzes preisgünstigste Segment. Allerdings sind Einzelcamper die absolute Ausnahme. Die kleinstübliche Einheit sind junge Pärchen, die sich ein Zelt teilen. Im Gegensatz zu vielen anderen Formen, den Urlaub zu verbringen, ist ein Mindestmaß an sozialer Anbindung die Voraussetzung für das Camping. Alleine nach Ibiza aufzubrechen ist zwar sicher auch kein Spaß, aber wird wahrscheinlich von der Hoffnung getragen, hier am Abend oder am Pool neue Bekanntschaften zu machen. Auf dem Campingplatz würde das Singledasein sofort ins grelle Tageslicht gezerrt. Auch das Vergnügungsangebot ist viel bescheidener, zumindest bei den meisten österreichischen, also mittelgroßen Campingplätzen, wo selten mehr als ein Wirtshaus die Gelegenheit bietet, die eigene Parzelle zu verlassen und unter Menschen zu kommen. Zwischen den Pärchen und den zahlenmäßig dominierenden Familien gibt es noch jene, für die der Campingplatz die eigentlich idealen räumlichen Möglichkeit bietet, einen echten Gruppenurlaub zu verbringen. Freundeskreise, Kleinvereine und Saufgemeinschaften sind aber nur bis zu einer bestimmten Größe toleriert. Auf einem ostdeutschen Campingplatz, den ich zu Pfingsten mit vier Freunden besucht habe, siedelten die Fußball- und Opelfahrervereine auf einem Feld jenseits des Zauns, hatten ein Lagerfeuer und machten Radau. Sie konnten die Infrastruktur nutzen, es gab ein Toilettenhäuschen genau auf der Grenze zwischen wildem und ordentlich organisiertem Bereich, aber störten nicht die anderen Gäste auf den abgezirkelten Parzellen. Werden diese Jugendlichen in ein paar Jahren als ordentliche Camper wiederkommen und dann auf die andere, die zivilisiertere Seite hinüberwechseln? 

 

Womit es heraus ist: Der Autor dieser Zeilen kann auf eine gewisse Campingerfahrung zurückblicken. Am Beginn stand eine Deutschlandreise. Mit 17 Jahren und zwei Freunden unterwegs habe ich nicht nur einen schönen Platz in der Lüneburger Heide sondern auch den Campingplatz von Düsseldorf kennengelernt. Wo sehr deutlich zu spüren war, dass Camping nicht als billige Alternative zu Jugendherbergen oder Hotels, sondern nur in der Landschaft  funktioniert. Vielleicht war das in den sechziger Jahren anders, aber in Düsseldorf Ende der Achtziger war uns neben den Dauercampern auf einer Wiese am Rande eines Industriegebiet ziemlich mulmig zumute. Die wahrscheinlich wichtigste Campingregel haben wir auf diese Weise kennengelernt: Das temporäre darf kein Dauerzustand werden. Was als Urlaubsform akzeptiert ist, wäre als Lebensentwurf verpönt. Wobei zwischen den echten Dauercampern, dem Pendant zu den amerikanischen Trailerparkbewohnern, und solchen zu unterscheiden ist, die ihren Wagen schon seit Jahren nicht mehr bewegt haben, aber nur einen Teil des Jahres darin wohnen. Sie sind selbst auf den idyllischsten österreichischen Plätzen zu finden. Wo das geduldet wird, kommt es zu einer stillschweigenden, weil baurechtlich strikt verbotenen Umwandlung des Campingplatzes in eine Feriensiedlung. Für die Betreiber der Plätze ist der Wunsch vieler Gäste, jedes Jahr an exakt derselben Stelle den Urlaub zu verbringen ein sehr willkommener Fixposten, können sie doch mit einem festen Kundenstamm rechnen.

 

Andrew Phelps hat mit seinen Fotografien viele der absurden Verrenkungen festgehalten, die entstehen, wenn sich die Camper einmal entschieden haben, ihr mobiles Zuhause dauerhaft an einen Ort zu binden. Es wäre ja viel einfacher, ein kleines Häuschen aufzustellen, doch das ist nicht erlaubt. Also wird um den Wohnwagen herumgebaut, mit Zäunen, Terrassen und Anbauten, bis nur noch zu ahnen ist, dass die Konstruktionen zusammenbrechen würden, wenn der Kern einfach wieder an die Anhängerkupplung genommen und weggefahren wird. Es gibt Wohnwägen, die mit der Zeit so verrottet sind, dass sie mit einem Dach vor Regen geschützt werden müssen. Dann wohnt nicht der Camper in einem Haus, sondern sein Campingmobil und erst hinter einer weiteren Schicht dann der Besitzer.

 

Zwischen dem einfachen Zelt und dem in vieler Sommer Arbeit eingepackten Wohnwagen bietet jeder Campingplatz eine Vielzahl von Zwischenformen, an denen sich beobachten lässt, wie Territorien abgegrenzt und Orte eingerichtet werden. Das Bild der beiden Männer, die von der Reise erschöpft neben ihrem Auto zu Boden gegangen sind zeigt wie wenig nötig ist, um einen Ort entstehen zu lassen. Es ist fast zu heroisch, denn hier präsentiert sich die zum Erreichen des Urlaubsortes notwenige Mobilität ganz unverhüllt und direkt. Leute, die länger bleiben, lassen ihren PKW hingegen nicht selten hinter einer Plane "verschwinden". Sie sind angekommen und wollen nicht mehr an die Reise denken. Andere halten das libidinöse Verhältnis zum Auto weiter aufrecht und parken den Wagen so, wie sich mancher Vorstadtbewohner eine Löwenskulptur neben die Einfahrt stellt.

 

Die Fotografien in diesem Buch sind kein Soziogramm der Campingkultur. Nicht das serielle Aufsammeln von Situationen bestimmt die Bilder, sondern ein sehr genauer, an Einzelmotiven interessierter Blick. Der auf die Menschen gerichtet ist und darauf, wie sie ihre Umgebung gebrauchen. Andrew Phelps hat immer wieder versucht, auch die Natur selbst zu finden, den Blick in die Landschaft, die Rechtfertigung, warum es gerade an dieser Stelle einen Campingplatz gibt. Es ist ihm selten gelungen. Oft wurden die Plätze in Wäldern angelegt, das sorgt zwar für Schatten, aber der Horizont besteht aus Bäumen. Und wo der Blick frei wäre, wird er meist an einem bepflanzten Zaun abgefangen. Von den wenigsten Campingplätzen ließe sich sagen, sie seien in der Natur. Die meisten sind abgegrenzte, eigene Naturräume, von der Umgebung isoliert.

 

Trotzdem kann man nicht von wirklich abgeschlossenen Einheiten sprechen. So groß, um den von Michel Foucault geprägten Begriff der "Heterotopie" darauf anzuwenden, ist der Unterschied zur Umgebung dann doch nicht. Was die Campingkultur von allen anderen Formen des Urlaubs unterscheidet ist ihre Nähe zur Normalität des ganz gewöhnlichen Lebens. Campingplätze sind Siedlungen in denen die unterschiedlichen Stadien der Sesshaftigkeit in gleitenden Übergängen an einem Ort versammelt sind. Nur "verstädtern" sie nicht. Im ausgebauten Häuschen mit Garten erreicht die Dauerhaftigkeit ihren Höhepunkt.

 

In einer Kulturgeschichte der Mobilität wäre der Campingplatz eine seltsame Sackgasse, in der die Bewegung erstarrt und in ein Nestbauverhalten umschlägt. Um in der Siedlungsgeschichte ein Pendant zu finden, würde sich die Gartenstadt anbieten. Diese entstand nicht zufällig zum selben Zeitpunkt wie die Jugendbewegungen, die mit Zelten und Musikinstrumenten aufbrachen, um das enge, dreckige Leben in den Städten wenigstens auf Zeit gegen die pure Natur einzutauschen. Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurden Idealstädte erdacht und auch gebaut, die jedem sein kleines Stück Natur als Menschenrecht garantierten. Natur war bis dahin entweder das Privileg reicher Villenbesitzer oder die tägliche Mühsal als Bauer. Der Gartenstadtbewohner bekam die kleine Parzelle hinter seinem Haus zur Erholung und zur Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln übergeben. Das war die Geburtsstunde des Traums vom eigenen Haus auf eigenem Grund und Boden. Den Wandervögeln, die währenddessen draußen in der Natur vor dem Lagerfeuer saßen, wären auf der Stelle umgekippt, wenn man ihnen prophezeit hätte, dass fünfzig Jahre später das campieren in der Natur nur noch an Orten gestattet sein würde, die organisiert sind wie eine Siedlung.  Aber während in Mitteleuropa die Mobilität immer mehr zunahm, schrumpften gleichzeitig die Zielgebiete der neuen Beweglichkeit immer stärker zusammen. Der Landschaftsverbrauch durch Besiedelung stieg seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts rapide an. Als mit dem Beginn der Nachkriegszeit der Kleinwagen für jedermann in greifbare Nähe rückte, flossen Urlauberströme durch Europa, die kanalisiert werden mussten. In dieser Zeit entstanden die ersten Campingplätze, oft nicht mehr als ein Stück Rasen mit Toiletten- und Waschhaus. Als wenig später die Wohnwägen hinzukamen, wurde das Gelände mit einem imaginären Parkplatzraster überzogen. Das Maß war, genauso wie im Wohnungsbau, das der Normalfamilie: In ein Auto passen Vater, Mutter und 2 Kinder. Plus Wohnwagen ist der Flächenbedarf derselbe wie bei einem Kleingarten. Wann die Campingplätze sich allmählich in semipermanente Wohnanlagen verwandelten, kann nicht genau datiert werden. Die Struktur in Form der parzellierten Natur war jedenfalls vorhanden und wartete darauf, in Besitz genommen zu werden. Noch heute gibt es Campingplätze, bei denen die Aneignung auf die Sommermonate beschränkt ist und die sich im Herbst wieder in eine Wiese zurückverwandeln, aus der in Abständen Anschlussdosen für die Stromversorgung herausragen. 



Oliver Elser

... ist Architekturkritiker (Der Standard, Frankfurter Allgemeine Zeitung) und -sammler (www.restmodern.de) und lebt in Wien. Sein Zelt von Jack Wolfskin (Typ "Pocket Hotel") hat er vor zwei Jahren verschenkt.















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