[Backstage-list] Hintergrundanalyse zur Sicherheitslage in der Sahara anl. d. Raubüberfalls auf österr. Reisegruppe

MMag. Harald A. Friedl harald.friedl at stud.uni-graz.at
Do Mär 4 07:57:39 CET 2004


Werte Forumsmitglieder,

angesichts des jüngsten Überfalls auf eine österr. Reisegruppe im
Sahara-Staat Niger und angesichts der bis heute nur dürftig aufgeklärten
Hintergründe im Zusammenhang um die langwierigen Entführungen von
Sahara-reisenden im vergangenen Jahr denke ich, dass eine Beleuchtung
des Backstage-Bereichs im Niger - der Zusammenhang Sicherheit -
Tuareg-Rebellion - Modernisierung - Tourismus - für die Forumsteilnehmer
interessant wäre.

Sie werden feststellen, dass meine Darstellung weitgehend von der in den
meisten Medien dargestellten Version - ein Zusammenhang mit der
algerischen fundamentalistischen Terrorgruppe GSPC - abweicht.

Ich selbst bin erst vergangene Woche mit einer Reisegruppe aus dem
betroffenen Gebiet des Niger zurückgekehrt und dissertiere zudem über
Tourismusentwicklung bei den Tuareg im Aïr, wobei die regionale
Sicherheitsproblematik einen wesentlichen Aspekt meiner Forschung
darstellt.

 

Grundsätzlich ist für die jüngsten Ereignisse freilich keine mögliche
Erklärung auszuschließen, aber das wissen ohnedies all jene, die sich
mit den Hintergründen von (Sahara-)Politik beschäftigen. 

Vorweg eine schlichte sachliche Information: 

Die nigrischen Gesetze schreiben für das Befahren von unbefestigten
Wüstenpisten - also auch jene nach Bilma und ins Djado - den Einsatz von
mindestens zwei Allradfahrzeugen sowie die Mitnahme eines Führers vor.
Ohne diese Bedingungen, jedoch auch nur mit behördlicher Genehmigung in
Form eines Routenblattes, ist dagegen die Aïr-Piste befahrbar. Dies
erklärt generell, warum im Niger - im Gegensatz zu Algerien - in der
Regel nur Touristen in Reisegruppen überfallen wurden.

 

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die extreme Differenzierung der
nigrischen Rebellion in zahlreiche Rebellenfronten nach der
schrittweisen Installierung des Friedens ganz zentral in die
Tourismuspolitik eingeflossen ist. Die hohe Zahl an Agenturen, die seit
1997 auf etwa 70-80 Unternehmen angewachsen ist (über genaue aktuelle
Zahlen verfügen nicht einmal die örtlichen Behörden) spiegelte die
Kernhaltung der regionalen Akteure wieder, nämlich der Drang zu
individueller Unabhängigkeit bzw. ein mangelnder Wille zur Kooperation.
Dies zeigte sich am Scheitern zahlreicher Initiativen zu
Kooperationsprojekten im Bereich des Tourismus. Eine völlig neue
Entwicklung in diesem Bereich war die Gründung des nigrischen
Tourismussyndikats unter dem Piloten Halb-Tuareg Akli Joulia (Agadez
Expeditions, Maison Azzel), der lange im Ausland gelebt hatte, und der
den modernen Unternehmertyp repräsentiert. Diese Gründung hatte Ende
2000 in einem geradezu revolutionären Akt unter De-facto-Ausschaltung
der bisher bestehenden Organisationsstruktur (ANTPH) stattgefunden und
war in der Folge wesentlich verantwortlich für zahlreiche Veränderungen
im Agadez-Tourismus, etwa die Forcierung des Flughafen-Ausbaus oder der
Installation eines Tourismusinformationszentrums.

Im Gegensatz dazu stand stets die Strategie der meisten
Tuareg-Agenturen, interne Konflikte durch innere Teilung zu lösen.
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 Was die Sicherheitslage im Niger anbelangt, so herrschte hier bislang
eine grundlegend andere Problematik als in Algerien. Die bisherigen
Überfälle waren weitestgehend eine Fortführung der während der Rebellion
erfolgreich praktizierten „Material-Beschaffungspolitik“, wovon zuvor
vor allem Entwicklungsorganisationen, vereinzelt aber auch gegnerische
Rebellenfronten, betroffen waren. Mit dem Ende der Rebellion wurden die
Touristengruppen die neuen „Melkkühe“. 

Im Wesentlichen lassen sich bei den bisherigen Überfällen drei
„Tätergruppen“ unterscheiden: kriminelle Ex-Rebellen, deviante
Jung-Kriminelle und Täter mit gezielter Schädigungsabsicht aus
Rachemotiven;

1.	Ex-Rebellen, die - freiwillig oder unfreiwillig - nicht von der
Integration der Ex-Rebellen in reguläre Einheiten (die wichtigste
geforderte Maßnahme der einstigen Rebellentruppen) betroffen waren und
ihre „erfolgreiche Beschaffungstechnik“ fortführen

a.	der Überfall auf die österr. Reisegruppe von Eva Gretzmacher im
Oktober 1997 im Hof des Hotels Bungalow in Agadez, wovon ich auch
persönlich betroffen war; der Fall, in den heftigen Endwirren der
Rebellion gelegen (massive Kämpfe beim Bagzan gegen Ende 1997), wurde
niemals endgültig geklärt;
b.	der Überfall auf US-Amerikaner und auf die Reisegruppe von Eva
Gretzmacher unter Tagelmust V. im Jänner 2001: den Tätern hatten sowohl
Tubus als auch Tuareg angehört; Rädelsführer der Gruppe war ein nicht
integrierter Ex-Rebell; damals hatte auch noch der politische Wille
seitens der Bevölkerung und der Behörden zur gemeinsamen Bekämpfung
dieses Problems gefehlt; immerhin hatte damals Rhissa ag Boula
persönlich unter Einsatz eigener Fahrzeuge die Verfolgung der Täter
aufgenommen; wegen der - aus der Rebellion resultierenden - engen
Verbindung zwischen der Djado-Region, Djanet und dem Aïr blieb die
Verfolgung letztlich weitgehend erfolglos; zwar wurde einer der
Haupttäter später gefasst und inhaftiert, dann aber wieder „aus Mangel
an Beweisen“ freigelassen.

Nach verbreiteter Ansicht sei der damalige Überfall Folge einer
kurzfristigen Verabredung auf „gut Glück“ gewesen.
c.	Für den Überfall bei Elmeki im März 2001 wurde ein bei der
Republikanischen Garde integrierter Ex-Rebell verantwortlich gemacht,
der jedoch mit der Waffe desertierte und einmal von seiner Waffe
lukrativ gebrauch machte…

 

2.	Die 2. Kategorie von Tätern umfasst jüngere Personen der
Post-Ischomar-Generation, deviante, entwurzelte Tuareg, die, wie im
Phasen raschen Wandels typisch, als Folge der allgemeinen Modernisierung
und des rebellionsbedingten Werteverfalls zur Kriminalität neigen (hier
lässt sich die Trennung gegenüber der ersten Kategorie nur unscharf
vollziehen):

a.	so befand sich unter den Tätern des Temet-Überfalls vom Jänner
2001 ein junger Angehöriger der Agenturen Planet Sable und Touareg
Tours; dieser hatte damals im Zuge seiner Fluch ein Schweizer Ehepaar
als Geisel genommen, wurde aber schließlich auf seiner Flucht in den
Tamgak gefasst. Als ein im Niger geborener Sohn von algerischen Eltern
gilt er als schwer verhaltensgestört. Dem entsprach auch das Urteil der
damaligen Geisel, einer Schweizer Psychologin.
b.	Im Dezember 2001 war es unweit von Timia zu einem Überfall durch
Jugendliche von Timia gekommen. Dabei waren die Täter den
Timia-Besuchern zu deren Nachtlager gefolgt und hatten unter Androhung
von Waffengewalt die Herausgabe von Wertsachen erzwungen. In der Folge
wurde jedoch von den Opfern Druck auf den Dorfchef ausgeübt, worauf
letztlich das gesamte Diebesgut wieder rückerstattet wurde. Hier zeigten
sich besonders deutlich die schwindende Kraft traditioneller Werte und
Institutionen und das wachsende Devianzpotenzial auch unter ländlichen
Tuareg. Timia ist längst zu einem Modernisierungskatalysator geworden,
wo es heute bereits ein eigenes Radio - und viele andere „Wünsche und
Bedürfnisse“ gibt… 

 

3.	Die 3. Kategorie umfasst Personen, die in gezielter
Schädigungsabsicht oder aus Rache und weniger aus Gründen der
unmittelbaren persönlichen Bereicherung handeln. Abermals zählen zu
diesem Täterkreis oftmals Ex-Rebellen bzw. Ex-Ischomars, die sich als
benachteiligt gegenüber den Ergebnissen der Rebellion und des Tourismus
fühlen; zuweilen aber werden auch interne Konflikte auf den Tourismus
„ausgelagert“:

a.	Bei den Tätern des Überfalls bei Elmeki im Jahr 2000 hatte es
sich um Ex-Rebellen gehandelt, die sich um Fahrerposten bei Dune
Voyages, der damals noch größten Agentur, beworben hatten, jedoch
aufgrund mangelnder Kompetenz abgelehnt wurden. Sogar der
Interventionsversuch von Tourismusminister Rhissa ag Boula war
zurückgewiesen worden. Der Überfall bei Elmeki war somit eine gezielte
Racheaktion. Zu den Tätern zählte auch ein hoher, bislang angesehener
Offizier.
b.	Ein weiterer Überfall bei Elmeki auf Aligouran V. im März 2001
wurde als Racheakt von Leuten aus dem Tal von Tidene, Angehörige der
„Rouges“, gegenüber den Leuten von Sikerte, Angehörigen der „Noires“,
beurteilt. Dahinter stand ein Konflikt um Brunnenprojekte bzw. um die
angeblich bevorzugte Behandlung der „Rouges“, also der hellhäutigen
Bevölkerung durch die Behörden. Ein längeres gewaltsames Hin und Her
soll schließlich in einen Überfall durch Leute aus dem Tal von Tidene
(Rouges) auf die Agentur Aligourane Voyages gemündet haben, wobei
vermutet wurde, dass diese Agentur von Angehörigen der „Noires“
betrieben werde.

Die Konflikte zwischen den „Rouges“ und den „Noires“ reichen tief in die
Rebellion zurück, als die Kel Ewey als „schlechtere Tuareg“ behandelt
wurden, was u.a. zur Gründung der - wenig bedeutenden - Rebellenfront
„MUR“ geführt hatte. Diese Konflikte kommen auch in einer
privilegierenden Unterstützungspolitik seitens einiger
Hilfsorganisationen wie die frz. Ass. Touareg gegenüber „Touaregs
rouges“ zum Ausdruck.
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[2]

 

Besonders das letzte Beispiel zeigt am deutlichsten, wie komplex die
Konfliktsituation in der Region Agadez ist. Insofern wird eine
Ettiketierung des Sicherheitsproblems als Ausdruck einer generellen
Verseuchung der Sahara mit Al-Khaida-Anhängern in keiner Weise gerecht.
Vielmehr ist grundsätzlich von einer Verflechtung von kriminellen,
illegalen Interessen auszugehen. Dass zwischen Niger und Mali einerseits
und Algerien und Libyen andererseits ein hoch entwickeltes
Schmuggler-Netzwerk besteht, ist allgemein bekannt. 

Die zögerliche Bekämpfung krimineller Übergriffe durch die Behörden und
lange Zeit auch durch die Bevölkerung resultiert u.a. aus dem immer noch
herrschenden Misstrauen zwischen Bevölkerung, Ex-Rebellen und Behörden.
Darum hatte es auch sehr lange gedauert, bis die Bevölkerung bereit war,
sachdienliche Hinweise zur Ergreifung von Tätern zu liefern.
Andererseits gibt auch die finanzielle und materielle „Aushungerung“ der
mit integrierten Ex-Rebellen besetzten Sahara-Sicherheitstruppe FNIS zu
denken: So konnten die Täter des Überfalls vom 18.1.2003 auf einen
Minen-Mitarbeiter an der Straße Arlit-Agadez von den nahe gelegenen
FNIS-Truppen nicht verfolgt werden, weil ihnen jegliche Mittel, u.a.
Treibstoff, fehlen. 

Dieser wie auch andere Vorfälle, etwa der Überfall auf eine
Gendarmerie-Truppe bei Iferouane im Juli 2003, bei der zwei Gendarmen
getötet und einige Fahrzeuge geraubt wurden, zeigt deutlich, dass sich
die Kriminalität weniger gegen den Tourismus an sich als vielmehr gegen
Wertsachen richtet. Darauf komme ich noch zurück. 

Derartige Umstände gaben in Agadez Anlass zu Vermutungen, dass eine
angespannte Sicherheitslage den Behörden nütze: Dadurch würde lediglich
dem Tourismus geschadet werden, von dem hauptsächlich die
Tuareg-Agenturen profitieren; im Gegenzug würde die finanzielle
Aufstockung der traditionellen Sicherheitsbehörden, Militär etc.,
legitimiert werden. Gleichzeitig könne unter solchen Bedingungen auch
auf die „Unfähigkeit“ der integrierten Ex-Rebellen verwiesen werden. 

Hier wird somit deutlich, wem durch kriminelle Vorkommnisse genützt und
geschadet wird.

Zusammenfassend für die letzten beiden Jahre lässt sich sagen, dass sich
die Kooperation zwischen Bevölkerung und FNIS bzw. integrierten
Ex-Rebellen verbessert hat. So konnten etwa im März vergangenen Jahres
zwei der bedeutendsten Kriminellen in der Region Elmeki durch einen
Tuareg-Offizier festgenommen werden, was von der Bevölkerung und den
Agenturen als großer Erfolg im Kampf gegen die Kriminalität und für die
Sicherheit des Tourismus begrüßt worden war. Gleichzeitig aber verstärkt
sich das Devianzpotenzial infolge der verstärkten Modernisierung.

 

Ein weiterer Wachstumsfaktor des Konfliktpotentials ist die steigende
Erwartung an den Tourismus als zentralen Wirtschaftsfaktor bei
ausbleibenden signifikanten Wachstumseffekten. Die verzögerte
Renovierung der Piste und die verspätete Nutzung durch den ersten
Charter konnte bislang die massiven Einbrücke der Buchungen nach dem
Hoch der Saison 2000/01 (rund 4000 Pauschaltouristen), hauptsächlich
ausgelöst durch die erzwungene Anreise über Niamey, weniger jedoch durch
das New-York-Attentat und die Sahara-Entführungen, noch nicht
wettmachen. Die Region befindet sich somit in einer Art Dauerkrise, die
durch die Reduktion des gtz-Entwicklungsprojekts „Projet Niger Nord“
eher zusätzlich verstärkt werden dürfte. So ist es wenig verwunderlich,
wenn der Tourismus anstatt als Verdienstchance eher wieder als Chance
für schnelles Geld entdeckt wird.

Für mich persönlich erscheint es als kein Zufall, dass große und
erfolgreiche Agenturen - wie Tagelmoust V. - wiederholt Opfer von
Übergriffen wurde: Als eine der größten Agenturen von Agadez zieht
Tagelmoust V. zwangsläufig den Neid auf sich. Mit der relativ großen
Anzahl an Touren stehen die Chancen auf einen Überfall schon rein
rechnerisch relativ „gut“ - ähnlich wie im Fall von Dune Voyages, der
zweitgrößten Agentur in Agadez, die im Besitz eines nigrischen Kaufmanns
und des Franzosen Barnet steht und bereits mehrfach Opfer eines
Überfalls wurde. Andererseits bedient sich diese Agentur auch etlicher
problematischer Strategien, die das Risiko eines Überfalls steigern. So
werden etwa die Kunden der Agentur Tagelmust V. im touristisch äußerst
attraktiven und direkt an der zentralen Piste durch die Air-Berge
gelegenen Bergdorfs Timia in dessen Garten anstatt im örtlichen
Campingplatz untergebracht, wodurch die Agentur Ausgaben einspart, die
sonst der Gemeinde zugute kommen würden. Dies wurde auch von der
Bevölkerung von Timia nachdrücklich kritisiert. Zudem betreibt die
genannte Agentur auch eine brutale Dumpingpolitik zur Abwerbung von
europäischen Partnern mit Preisen von bis zu 40 % unter den örtlichen
Durchschnittspreisen, was zusätzlich das Verhältnis gegenüber kleineren
Agenturen belastet. Eine derartige Marktpolitik trägt freilich zur
Verschärfung bestehender Konflikte bei. Dass der Betreiber von Tagelmust
V., Aha Issoufa, niemals an der Tuareg-Rebellion teilgenommen, sondern
vielmehr während der Rebellion als Touristiker in Namibia gearbeitet
hatte, erklärt einerseits seine hohe touristische Kompetenz,
andererseits aber auch seine Außenseiter-Position innerhalb der
konkurrierenden Tuareg-Agenturen. 

 

Zum Abschluss noch ein paar Bemerkungen zu möglichen Zusammenhängen
zwischen den Algerien-Entführungen und dem Niger: 

Zahlreiche Indizien, die ich in Gesprächen mit Sahara-Fahrern,
Algerien-Kennern und auch Mitgliedern der entführten Reisegruppen etc.
zusammengetragen haben, haben mich zur Überzeugung gebracht, dass die
Entführungen im vergangenen Jahr in Algerien wahrscheinlich vom
algerischen Militär inszeniert worden waren. Verbindungen zwischen
beiden Entführungen gelten als erwiesen. In jedem Fall sind die
Vorteile, die dem algerischen Militär durch eine allgemeine, herrschende
Unsicherheit erwachsen, unübersehbar. Zum einen gewinnt dadurch das
wenig beliebte Militär bei der Bevölkerung an Legitimität, zum anderen
profitiert die militärische Führung durch moralische und materielle
Unterstützung seitens der im „Anti-Terror-Krieg“ stehenden Amerikaner.
Ähnlich wurde ja auch bereits Mali seitens der USA mit Geldern und
Militärhilfe unterstützt.

Ich persönlich stelle die allgemein herrschende Trennung in „gut =
antiterroristisch“ und „böse = Al Khaida/GSPC“ grundsätzlich in Frage
und sehe darin vielmehr ein Instrument der Manipulation der öffentlichen
Meinung zur Konstruktion griffiger Feindbilder. Dies hat sich auch
deutlich im Fall des jüngsten Irak-Krieg am Beispiel der angeblichen
Massenvernichtungswaffen gezeigt. Auch der Niger war wiederholt Opfer
dieser Rufmord-Kampagne:

1.	Beweise für die angeblichen Terrorbasen im Norden des Niger, die
Anlass für die Absage der Rallye Paris-Dakar im Jänner 2000 in Agadez
waren, wurden der nigrischen Regierung bis heute nicht vorgelegt.
Tatsache ist hingegen, dass damals im bezeichneten Gebiet offiziell
etliche bewaffnete Fahrzeuge der Jagdgesellschaft eines Prinzen der
Golfemirate unterwegs waren….
2.	Auch die angebliche „Niger-Connection“ - die von US-Präsident
Bush behauptete „illegale“ Lieferung von Uran an den Irak, stellte sich
letztlich als misslungener Versuch einer missbräuchlichen
Desinformationskampagne dar.

 

Zusammenfassend bin ich somit der Meinung, dass im Niger folgende
Probleme zusammenfallen und die derzeitige mangelnde Sicherheit
erklären:

1.	die traditionellen Konflikte zwischen den verschiedenen
Tuareg-Gruppierungen, die in den Rebellenfronten und nunmehr in der
Tourismusstruktur zum Ausdruck kommt
2.	der wachsenden Modernisierung, verbunden mit wachsendem
Werteverfall, steigender Kriminalität
3.	die drohende Perspektivenlosigkeit der Ex-Rebellen und „neuen
Intellektuellen“ (Schulabsolventen etc.) angesichts des Ausbleibens
signifikanter wirtschaftlicher Verbesserungen
4.	der dadurch wachsende Erwartungsdruck auf den - von zahlreichen
wirtschaftlichen, administrativen und logistischen Problemen begleiteten
- Niger-Tourismus
5.	das sich ausdehnende Netz von inter-saharischen
Schmuggler-Banden
6.	das immer noch herrschende Misstrauen zwischen den
zentralstaatlichen Behörden, den Ex-Rebellen und der Bevölkerung bzw.
die finanzielle und materielle Unterversorgung der aus Ex-Rebellen
bestehenden Sicherheitsbehörde FNIS
7.	die nach wie vor große Zahl an frei verfügbaren Waffen als Folge
der regionalen Kriege in Westafrika
8.	die ideologische Enttäuschung durch den modernen Staat
einerseits und die Rebellion anderer und dadurch die wachsende
Attraktivität radikaler Ideen, was derzeit im Niger jedoch noch primär
auf den Süden beschränkt ist (siehe etwa die fundamentalistischen
Ausschreitungen im Zusammenhang mit der FIMA in Niamey im November 2000.

Den größten Gefallen, den man den Tätern des jüngsten Überfalls auf eine
Reisegruppe im Norden des Niger machen kann, ist es, in das Horn des
allgemeinen Terrors und der GSPC zu blasen. Was die Sahara und
insbesondere der Niger braucht, sind einerseits solide
Tourismusstrukturen mit einer hohen, regional integrierten
Wertschöpfung, die Unterbindung von Dumpingpreisen und illegalen
Tourismusanbietern etc. zur Förderung des Rückhalts des Tourismus in der
Bevölkerung. Denn nur dort, wo die Bevölkerung von Tourismus
mitprofitiert, trägt diese auch aktiv zur Kriminalitätsbekämpfung bei.
Andererseits benötigt die Region eine sachliche Informationspolitik
hinsichtlich der tatsächlichen Sicherheitssituation, denn Sicherheit ist
- wie sich während der Rebellion in Niger und Mali bzw. während der
Algerienkrise in den 90er-Jahren gezeigt hatte - die Grundlage für
jeglichen Tourismus in der Region

 

MMag. Harald A. Friedl

 

MMag. Harald A. Friedl ist Jurist und Philosoph, dissertiert über
„Nachhaltige Tourismusentwicklung bei den Tuareg in den Aïr-Bergen,
Niger“ und ist Dozent für Tourismus an der FH Bad Gleichenberg. In den
vergangenen vier Jahren verbrachte er insgesamt fast ein Jahr in der
Tuareg-Region Agadez zu empirischen Forschungen über die regionale
Tourismusentwicklung. 

Er ist Autor des im Profil Verlag (München, Wien) erschienenen Buches
„Tourismusethik“ und des mit dem „SignaTOUR 2004“-Preis ausgezeichneten
Travelguides „Respektvoll reisen“ (Reise Know-how, Bielefeld).


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[1] So ist etwa die Agentur „Planet Sable“ 1997 infolge einer Abspaltung
von der 1996 gegründete Agentur Touareg Tours entstanden. Allerdings
sind diese Agenturen nach meinem Wissen und meiner Überzeugung in keiner
Weise in die Überfälle verwickelt.

 
<outbind://1-00000000F6D114B7CC4BD845BAECC191E31C3AB4A4032200/#_ftnref2>
[2] Vgl. dazu Friedl, Harald A. 2001: Bruderzwist der Tuareg. Reportage
in: Zum Thema, Geschichte und Gesellschaftsentwicklung, Februar 2001,
http://www.zumthema.com/wissensbank/ftext.asp?id=2208 (3 Seiten) - sende
ich auf Anfrage gerne zu.





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