[Backstage-list] DataBecker: Flüchtlingsboote & Badestrand

J Becker plaann at gmx.net
So Jan 11 01:55:06 CET 2004


SonntagszeitungPolitik

Leidvolle Erfahrungen mit vollen Flüchtlingsbooten
Ein Viertel der Einwanderer bleibt in Italien, die anderen ziehen 
weiter. Rom amnestiert Illegale und wagt eine vorsichtige 
Integrationspolitik
 
Von Tobias Piller  
Rom. Die italienische Insel Lampedusa, von West nach Ost gerade einmal 
neun Kilometer lang und von Nord nach Süd nur dreieinhalb Kilometer 
breit, liegt inmitten aller Einwanderungsströme nach Italien. Denn 
Italiens südlichster Vorposten im Mittelmeer ist zwar 205 Kilometer von 
Sizilien entfernt, aber lediglich 167 Kilometer von der Küste Tunesiens 
und 355 Kilometer vom libyschen Festland. Die Flüchtlinge in den 
kleinen Booten aus Nordafrika werden daher zuallererst von der 
italienischen Marine vor Lampedusa entdeckt und danach auf die Insel in 
ein Aufnahmelager gebracht. Der Bürgermeister des winzigen Eilands, 
Bruno Siracusa, von Berlusconis Partei Forza Italia, sendet dann 
jedesmal einen Hilferuf ins ferne Rom, nicht nur wegen des überfüllten 
Aufnahmelagers, sondern auch wegen der Sorge um den Ruf der Insel. Sie 
lebt im Sommer vom Tourismus und will nicht als Flüchtlingsdomizil 
verschrien sein.  
In einer anderen exponierten Ecke Italiens, im apulischen Otranto am 
Absatz des Stiefels, hat man schließlich in den vergangenen Jahren 
leidvolle Erfahrungen gemacht. Dort hatten die täglichen Nachrichten 
über Flüchtlingsboote einige Sommer lang Verluste bei den Gästezahlen 
beschert. Die Sensationsmeldungen der Medien gingen so weit, daß viele 
Italiener dachten, die Flüchtlingsboote könnten direkt an den 
Badestränden landen, die illegalen Einwanderer in Gruppen hinter 
Büschen und Strandhäuschen hervorkommen. Doch davon war nie etwas zu 
sehen, weil die Boote nachts an Felsküsten anlegten.  
Mittlerweile sind die früher täglich in Apulien ankommenden 
Flüchtlingsboote in Italien schon fast wieder vergessen. Die Meerstraße 
von Otranto bleibt ruhig, seit ein Abkommen zwischen Italien und 
Albanien schon für Kontrollen an der albanischen Küste sorgt. Italien 
bezahlt und bildet albanische Sicherheitskräfte aus und durfte dazu 
auch eigene Polizisten schicken. Das gute Verhältnis ist nun für 
Italiens Innenministerium Vorbild für die Vereinbarungen, die nach und 
nach mit anderen Anrainerländern des Mittelmeers getroffen werden, 
zuletzt mit Tunesien und Libyen. Doch steht für die nordafrikanischen 
Mittelmeerländer außer Diskussion, daß sie nicht so weit gehen wollen 
wie Albanien und italienische Polizisten ins Land lassen würden. Zudem 
haben Libyen oder Algerien selbst mit Einwanderungsproblemen zu 
kämpfen: Libyens Landesgrenzen in der Wüste sind 4500 Kilometer lang 
und kaum zu überwachen.  
Während sich Innenminister Giuseppe Pisanu stets pragmatisch zeigt, 
führt schon die Ankunft eines einzelnen Flüchtlingsbootes zu 
pathetischen Äußerungen der fachlich weniger versierten Politiker. 
"Europa muß Italien endlich helfen, diese außergewöhnlichen Lasten zu 
tragen", lautet dann der Standardspruch. Innenminister Pisanu dagegen 
hat sich immer wieder um den Nachweis bemüht, daß Italien weit weniger 
von Flüchtlingsströmen betroffen ist als andere europäische Länder: 
Italien habe 2002 gerade 9608 Asylbegehren registriert, berichtet 
Pisanu. Davon seien in den nur zwanzig Tage dauernden 
Anerkennungsverfahren lediglich 711 anerkannt worden - kein Vergleich 
zu den Zahlen der Asylsuchenden in Großbritannien und Deutschland, wo 
es zudem noch höhere Erfolgsquoten bei der Anerkennung gebe.
Die dramatischen Berichte über die Bootsflüchtlinge verstellen zudem 
nach Meinung der Behörden den Blick auf den Umstand, daß die meisten 
illegalen Einwanderer in Italien über den Landweg oder mit 
Touristenvisen per Flugzeug ins Land kämen. Die Zahl der 
Bootsflüchtlinge, im Jahr 2000 lag sie noch bei fast 27000, ist bis 
2002 auf 13000 gefallen. Italiens Mitte-rechts-Regierung gibt sich 
Mühe, beim Umgang mit illegalen Einwanderern mehr Strenge zu zeigen. 
Daß mittlerweile immer mehr in ihre Länder zurückgeschickt würden, wird 
hervorgehoben. Allein im Jahr 2002 habe man 24 Charterflüge für den 
Rücktransport von 1926 illegalen Einwanderern organisiert. Die 
Gesamtzahl der zurückgebrachten Einwanderer ist aber nicht viel höher 
als bei der Vorgängerregierung von Mitte-links. Diese hat im Jahr 2000 
noch 69000 Einwanderer nach Hause befördert, während die Statistik der 
Regierung Berlusconi für 2002 rund 88000 Rücktransporte und für 2003 
rund 56000 verzeichnet.
Die lockere Praxis der früheren Jahre, die ungebetenen Besucher einfach 
nach Nordeuropa weiterzuschicken, ist zumindest offiziell größerer 
Härte gewichen. Bis 2001 wurden die Einwanderer zwar auch ausgewiesen, 
doch geschah das auf wenig glaubwürdige Weise: Dem illegalen 
Einwanderer wurde ein Stück Papier in die Hand gedrückt, in dem stand, 
er habe Italien innerhalb von 15 Tagen zu verlassen. Ob und wie das 
geschah, wurde nicht kontrolliert. Nun finden sich illegale 
Einwanderer, die per Boot kamen, in einem geschlossenen Aufnahmelager 
wieder, wenn sie nicht im Krankenhaus wegen Entkräftung und 
Unterkühlung liegen. Doch die Zeit der Internierung ist begrenzt. 
Darüber, was mit Flüchtlingen passiert, die ihre Identität und Herkunft 
nicht preisgeben und daher nicht zurückgesandt werden können, aber auch 
nicht auf Dauer in Lagern festgehalten werden können und dürfen, will 
man im Innenministerium keine weitere Auskunft geben. Zu hören ist aber 
immerhin, daß von den illegalen Einwanderern nur ein Viertel in Italien 
bleiben möchte, während die übrigen 75 Prozent in Richtung Norden 
weiterwollten.  
Eine beträchtliche Anziehungskraft für die nicht gerufenenen 
Neuankömmlinge entwickeln zudem die Regionen im Norden und Nordosten 
Italiens, wo trotz der gedämpften wirtschaftlichen Entwicklung noch 
immer Vollbeschäftigung herrscht oder wo offizielle Arbeitslosenquoten 
von 2,5 und 3 Prozent schon auf Überbeschäftigung hindeuten. Da der 
Arbeitsmarkt für Fachkräfte völlig leergefegt ist, wollen Italiener 
längst nicht mehr die einfacheren oder schmutzigeren Arbeiten etwa in 
den Gießereien verrichten. Weil die Wirtschaft gar nicht mehr auf ihre 
ausländischen Arbeitskräfte verzichten kann, die Regierung Berlusconi 
offiziell jedoch keine illegale Einwanderung dulden wollte, hat ein 
neues Einwanderungsgesetz, formuliert vom rauhbeinigen Lega-Chef 
Umberto Bossi und dem rechtsnationalen Parteichef Gianfranco Fini, eine 
der größten Amnestieaktionen für Einwanderer in Italien gestartet.  
Die Voraussetzung für den Erhalt der offiziellen Aufenthaltsgenehmigung 
ist dabei aber nicht mehr wie zuvor, den Beweis vorzulegen, daß man 
schon zu einem früheren Zeitpunkt im Lande war. Statt dessen muß ein 
Arbeitsplatz nachgewiesen und gleich der Sozialbeitrag im voraus 
entrichtet werden, woraufhin dann Arbeitgeber und Einwanderer zur 
Unterzeichnung eines Einwanderungs- und Arbeitsvertrages ins 
Ordnungsamt bestellt werden. Daß inzwischen nach überraschenden 705000 
Anträgen auf Legalisierung 640000 der umständlichen Verfahren 
abgewickelt wurden, sieht das Innenministerium als seinen Erfolg an.
Zum einen hatte sich die italienische Mitte-rechts-Regierung bemüht, 
den Eindruck zu erwecken, man wolle einfach nur bestehende Verhältnisse 
anerkennen und damit illegale Einwanderung belohnen, wie es früher bei 
den regelmäßigen Amnestien von 1986 (Legalisierung von 120000 
Illegalen), 1990 (215000), 1995 (244000) und 1998 (217000) geschah. 
Andererseits hat der Versuch, bei der neuen Amnestie die Legalisierung 
mit Pflichten und Verträgen zu verbinden, das Verfahren stark 
kompliziert: Anerkannt wurden nur Einwanderer, die seit mindestens drei 
Monaten in einem Beschäftigungsverhältnis als Haushaltshilfe oder 
illegaler Arbeitnehmer standen. Zu den persönlichen Daten wurde auch 
verlangt, daß der Arbeitgeber schriftlich sein Einverständnis zu einem 
ordentlichen Arbeitsvertrag erklärte. Bei den Postämtern, wo Päckchen 
mit Formularen auslagen, mußten die Einwanderer sofort einen Abschlag 
für die Pensionsversicherung zahlen, 330 Euro für Haushaltshilfen und 
700 Euro für abhängig Beschäftigte. Nach der pünktlichen Zahlung, dem 
Einsenden der Quittung mit allen Dokumenten wurden dann Einwanderer und 
Arbeitgeber zur Polizei gebeten, um den Arbeitsvertrag zu 
unterzeichnen.  
Widersprüche bleiben dennoch bestehen, wenn die Ausländer, wie früher 
die Gastarbeiter in Deutschland, zwar in den Fabrikhallen erwünscht 
sind, aber nicht im Straßenbild von norditalienischen Städten wie 
Treviso. Zum anderen hat nun ein früher eher mit dem Ordnungsthema 
profilierter Politiker das Thema "Ausländer" als ein Instrument 
entdeckt, mit dem er sich und seiner Nationalen Allianz ein weicheres 
Profil verschaffen kann: Gianfranco Fini überraschte Verbündete und 
politische Gegner gleichermaßen mit dem Vorschlag, Einwanderern auch 
von außerhalb der Europäischen Union nach einigen Jahren in Italien das 
kommunale Wahlrecht zuzugestehen.

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 11.01.2004, Nr. 2 / Seite 
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