[Backstage-list] weitere Rückmeldung
Peter Spillmann
spillmann at access.ch
Mo Feb 16 12:08:31 CET 2004
Hallo
da es offensichtlich Formatierungsprobleme gab, kommt mein Text
nochmals direkt im Mail.
Peter Spillmann
---------------
Rückmeldung auf den Backstage*Tourismus Workshop in Graz
Zur Praxis
Vielleicht macht es Sinn, einige Gedanken zu der ganz spezifischen
kulturellen Praxis vorauszuschicken, die letztlich hinter so einem
Projekt wie Backstage*Tourismus steckt und die auch den Ablauf des
Workshops geprägt hat. Investigative, thematisch ausgerichtete und
interdisziplinäre Projekte gibt es im Kunstumfeld -zumindest im
deutschen Sprachraum - seit den 90er Jahren. Anlass für eine solche
Praxis war u.a. eine fundamentale Kritik an einem durchwegs
konservativ und auf den Markt hin gedachten AutorInnenbegriff, der
bis heute den konventionellen Kunstbetrieb prägt und für die
Behauptung eines hierarchisch strukturieren Kunstsystems (Galerie,
Museum, Markt) unabdingbar ist. Wichtige kollektive Projekte waren
z.B. "When Tekkno turns to sound of Poetry" (feministische
Technologiekritik), "Innenstadtaktionen" (gegen Ausgrenzung und
Zentrifizierung) oder Money Nations (über die Konstruktion eines
neuen "Ostens" nach der Wende). Das spezielle dieser Praxis war nicht
die Tatsache, dass SpezialistInnen aus unterschiedlichen Bereichen
zusammengearbeitet haben sondern viel mehr ein bestimmter Akt der
Selbslegitimation und des offenen Austauschs, mit dem Ziel, fach- und
hierarchiespezifische Abgrenzungen zu Gunsten einer kreativen
Wissensproduktion zu überwinden. In offenen Netzwerken und
Zusammenhängen von Kulturschaffenden, TheoretikerInnen und
AktivistInnen wird seither auch ausserhalb des Wissenschaftsbetriebes
relevantes Wissen produziert unddistribuiert. Interessant ist, dass
sich trotzdem, dass die inhaltlich orientierte und auch politisch
aktivistische Praxis den Kunstbegriff der 90er Jahren im wesentlichen
geprägt hat, sich kaum Strukturen bilden konnten, die den veränderten
Bedürfnissen z.B. auf der Ebene der Institutionen entgegenkommen.
Jedes renommierte Haus musste nun zwar sog. Themenausstellungen
veranstalten - in welchen künstlerische Positionen unter thematischen
Gesichtspunkten ausgewählt und für eine kritische Oberfläche sorgen
mussten, aber realistische Produktionsbedingungen für
prozessorientiertes Arbeiten wurden kaum geschaffen. Auf der anderen
Seite wird der Wissenschaftsbetrieb bis heute von einer eng
reglementierten und wenig durchlässigen Praxis der Forschung geprägt.
An diesem Punkt ist Backstage*Tourismus gewissermassen als
strategisches Projekt positioniert. Das Potential des Projektes ist
z.B. dass daraus nicht institutionell funktionalisierte "Tourism
Studies" hervorgehen können, die ausserhalb des englischen Kontexts
ja noch nicht exisitieren.
Zur Methode
Im Hinblick auf den von uns im letzten Herbst lancierten Call und den
Workshop in Graz, stellt sich aktuell die Frage nach der richtigen
Methode, um im Endeffekt zu spannenden Aussagen, komplexen
Erkenntnissen oder angemessenen Aktionen zu finden und in einem
zweiten Schritt geht es dann um die Frage einer sinnvollen
Vermittlung in unterschiedlichen Kontexten.
Ich denke, dass sich das Format des Workshops für den Austausch von
Informationen, Ideen und unterschiedliche Arbeitsansätze eignet.
Allerdings wäre es von Vorteil gewesen, wenn nach den einzelnen
Präsentationen oder nach Blöcken von Präsentationen jeweils offene
Diskussionen möglich gewesen wären. Dafür habe wir die Situation zu
sehr auf eine Bühne hin ausgerichtet. Ein räumliches Setting, was
nicht so sehr das Format des frontalen Panels sondern eher das einer
partizipativen Runde suggeriert hätte, wäre hilfreich gewesen. Und
selbstverständlich wäre es fair, etwas diziplinierter mit den Längen
einzelner Präsentationen umzugehen.
Ich finde persönlich die Mischung von künstlerischen, theoretischen
Ansätzen bzw. die Vorstellung von Materialsammlungen auf der einen
und fertige Projekte auf der anderen Seite sehr anregend und
hilfreich, um auch inhaltlichen Fragen gegenüber eine Haltung zu
entwickeln. Ich fände es schade, wenn die Beiträge stärker
entflochten und z.B. ausschliesslich theoretische oder küntlerische
Positionen vorgestellt würden. Natürlich können die Zusammenstellung
und die einzelnen Beiträge je präzisiert werden. Für kommende
Workshops braucht es im Vorfeld genauere Absprachen auch
untereinander, damit sich die Beiträge präziser anschliessen und
zeitlich zu bewältigen sind. Und ich stelle gerne mein
Moderationsmandat für Begabtere zur Disposition.
Zum Thema
Für mich ist “Backstage*" in erster Linie ein anschauliches Modell,
um das Phänomen Tourismus kritisch zu Befragen. Der duale Blick
hinter die Bühne ist natürlich viel zu einfach gedacht. Ich gehe
nicht davon aus, dass wir da einen eindeutig beschreibbaren Raum oder
eine einfach analysierbare Situation erwarten können. Was an der Idee
“Backstage*Tourismus" auch verfänglich sein könnte, ist die
Vorstellung, dass Tourismus als ein eigenständiges Phänomen
untersucht werden kann. Daher rührt vermutlich auch die bereits vom
Martina und Michael angesprochene Schwierigkeit, mit den
unterschiedlichen Formen des Tourismus (Alpen, Süden, etc.), die dann
schnell mal in ihrer gesellschaftlichen Relevanz gegeneinander
ausgespielt sind.
Ich habe den Eindruck, dass es keinen Sinn macht, sich mit einer
kritischen Perspektive auf d e n Tourismus (selbst wenn es
verschiedene Kategorien davon geben sollte) zu beziehen. Phänomene
des “Touristischen" sehe ich eher als komplexe transitorische
Zusammenhänge und Bezüge, die in ganz unterschiedlichen Kontexten
verschieden wirken können. Der Bezug auf Tourismus und die
Perspektive auf Backstage* ist sozusagen ein doppeltes Vehikel, um
bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse im Kontext einer zunehmend
global funktionierenden Reise-, Sehnsuchts- und Erlebnisindustrie
untersuchen zu können.
In dem Sinne finde ich es ein interessantes Projekt, die
“österreichische Verstrickung" in den und mit dem Tourismus zu einem
eigenen Projekt zu machen. Wie Michael das in seinem “Alpenplädoyer"
skizziert, würde dabei nicht so sehr die Geschichte der
Tourismusentwicklung das Thema sein sondern vielmehr imaginierte
Identitäten, Abgrenzung und Identifikation, Selbstwahrnehmung,
Vorstellungen von wirtschaflticher Innovation, die damit verbundene
systematische Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen etc.
Die Geschichte lässt sich allerdings so nicht auf die Schweiz
übertragen. Hier liegt die touristische Erschliessung (und die damit
verbundenen industrielle Kolonialisierung) viel weiter zurück. Längst
hat sich ein eher emotionsloses, durchrationalisiertes und was die
arbeitsintensiven Bereiche der Gastfreundschaft anbelangt,
outgesourctes Geschäft entwickelt, wo identifikatorische Momente
höchstens im Marketing eine Rolle spielen. Ansonsten sind die
Davoser, St. Moritzer und Zermatter Städter, die sich nach Zürich,
London und Miami ausrichten.
Die Themenstränge oder Erzählungen die mich im ganzen Komplex
Backstage* Tourismus interessieren betreffen denn auch eher
Zwischenzonen oder Berührungsflächen, z.B. das Zusammentreffen von
Tourismus und Migration auf den unterschiedlichen Levels
(migrantische Arbeitskräften im Tourismusgewerbe, Tourist als
migrantische Strategie, um in den Schengenraum zu gelangen, gemeinsam
Benutzte Infrastrukturen wie z.B. Hotels in der Türkei die
gleichzeitig Badegäste und für die Abschiebung inhaftierte Migranten
beherbergen) oder die Verbindungen, welche zwischen Kultur- und
Freizeitindustrie und Tourismus entstehen und vielerorts als
(einzige) Perspektive für eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft
gehandelt wird und inwiefern sich solche Modell optimal einfügen in
den nach neoliberalen Kriterien laufenden Umbau der Wirtschaft
(Prekarisierung von Arbeit, Minijobs, Saison- bzw. Projektstrukturen
auf der einen und Auflösung von geregelter Arbeit und Freizeit,
Ich-Konsum etc. auf der andern Seite). Ein weiterer spannender Aspekt
scheint mir an der Stelle die Frage, wie der Tourismus als Schule für
einen spezifisch rationalisierten Umgang mit andern Kulturen
(interkulturelle Kompetenz) und die Globalisierung der Eliten
zusammenwirken.
Ein weiterer Interessanter Gedanke tauchte am Workshop auf, im
Zusammenhang mit den “Leichen in Österreichs Alpen", dem
authentischen Community Aktivist in der Bronx und den Karneval-Mauren
die in einem Folklorespektakel für die Touristen an der Spanischen
Küste von den Karneval-Christen geschlagen werden.
Begehrensproduktion und der Verkauf von Begehren müssten nochmals auf
ihre tribalistischen Motive hin untersucht werden. Nicht einfach
alles und z.B. jeder Ort lässt sich zur Attraktion erklären, zum
Markenzeichen machen und verkaufen (siehe Wöhler). Im Grunde wird
immer an einer Stelle reale Lebensenergie vermarktet (um nicht zu
sagen ausgebeutet), etwa in Form von (unterbezahlter)
Gastfreundschaft, als folkloristisch konditioniertes Soziales oder
gleich als Vermarktung des Grauens und des nicht selten
lebensbedrohlichen Thrills, etwa im Dark Tourism und Adventure
Tourism. Die davon Betroffenen können sich manchmal gut arrangieren
in anderen Fällen sind sie dem Zugriff auf vitale Ressourcen und
Lebensgrundlagen völlig ausgeliefert. (Das wäre vielleicht eine
Möglichkeit, die Alpen und die Südsee doch zusammenzusehen.)
Solche thematische Verknüpungen sind vielleicht in einem einzelnen
Workshop schwierig zu fassen und auszudifferenzieren. Das Format
Ausstellung hingegen oder auch eine zukünftige Publikationen scheinen
mir aber durchaus geeignet zu sein, um diesen komplexen Blick hinter
die Kulissen zu ermöglichen.
PSP, Februar 04