[Backstage-list] Backpackers Softskills
J Becker
plaann at gmx.net
Sa Apr 10 11:14:18 CEST 2004
On the road in Richtung Karriere
Offenheit, Kommunikation, Selbstständigkeit, Neugierde sind
Schlüsselkompetenzen einer globalisierten Ökonomie. Jugendliche eignen
sich diese Softskills auf der Reise mit dem Rucksack um die Welt an.
Eine berufliche Qualifikation
VON JANA BINDER
Richard betritt das stickige Mehrbettzimmer eines Hostels in Kuala
Lumpur. Mit seinem großen Rucksack drückt er sich vorsichtig an den
Doppelstockbetten entlang, um niemanden aufzuwecken. Doch die Betten
stehen so eng beieinander, dass sich ein schabendes Geräusch nicht
vermeiden lässt. Auf dem Bauch trägt er einen kleinen Tagesrucksack, in
dem vermutlich seine Wertsachen untergebracht sind. Er wirkt erschöpft.
Seit elf Monaten ist er unterwegs. Nordamerika, Südpafizik, Neuseeland,
Australien und jetzt Südostasien. Selten war er länger als drei Nächte
an einem Ort. Noch zwei Monate, dann fliegt er zurück nach
Großbritannien. Während er nach einem freien Bett für sich Ausschau
hält, nickt er entschuldigend denjenigen zu, die er geweckt hat. An
diesem schwülen Morgen liegen hier in der Hauptstadt Malaysias unter
vielen anderen auch Nora aus Deutschland, die gerade auf dem Weg von
Thailand nach Australien ist, Susie aus Kanada, die vor einer Woche
nach vier Monaten Europareise nun in Asien auf ihrem
Round-the-world-Trip angekommen ist, Tim aus Großbritannien, der
während eines "gap years", eines Jahres zwischen Schule und
Universität, Lebenserfahrung sammeln will.
Richard, Nora, Susie und Tim gehören zu denjenigen, die sich mit einem
Rucksack bepackt auf den Weg um die Welt machen. Dieses Reisephänomen
wurde erstmals in den Siebzigerjahren wissenschaftlich betrachtet. Der
Soziologe Erik Cohen beschrieb Rucksackreisende als jugendliche
Subkultur, die sich von den Strukturen ihrer Herkunftsgesellschaften
und dem gleichzeitig beginnenden Massentourismus abwendet. Heute ist
der Rucksacktourismus selbst zum Massenphänomen geworden. 2003 wurden
zehnmal so viele Round-the-world-Tickets verkauft wie noch Anfang der
90er-Jahre, und die Nachfrage steigt trotz Tourismusflaute. "Ein Ticket
um die Erde kostet nicht die Welt", bewirbt der deutsche Marktführer in
Sachen individuelle Weltreisen STA sein Angebot. Mit der gestiegenen
Nachfrage hat sich eine spezialisierte Infrastruktur in nahezu allen
Ländern dieser Welt fest etabliert. "Banana-Pancake-Trail", wird sie
ironisch genannt, was sich auf die bei Rucksacktouristen so beliebten
Frühstücks-Bananenpfannkuchen bezieht, die überall angeboten werden.
Auch wenn sich die gesellschaftlichen Bedingungen in der
Herkunftsländern der Rucksacktouristen in den letzten 30 Jahren rapide
verändert haben und die Klientel, die sich für eine Weltreise mit dem
Rucksack entscheidet, sich erheblich von den Erstürmern des
Hippie-Trails unterscheidet, so umschwirrt die Aura der 70er immer noch
die Treffpunkte der Traveller: Es wird weiterhin auf eigene Faust, über
lange Zeiträume, bei geringem Budget, ohne feste Route und mit dem
Wunsch, so nah wie möglich an die Kultur der Gastländer heranzukommen,
gereist. Allerdings dominieren statt des offenen Ausgangs des Trips das
feste Rückflugdatum und der Wunsch nach einem Karriereanschluss. So
wählte Susie die Zeit zwischen Collegeabschluss und Eintritt in die
Arbeitswelt für ihre Weltreise. Das Rückflugticket von Sydney nach
Toronto hat sie bereits in der Tasche. Eine Woche nach ihrer Rückkehr
wird sie in einer Werbeagentur anfangen. Da sie sich nicht ihre Zukunft
verbauen wollte, besprach sie ihr Vorhaben sowohl mit ihrem Professor
als auch mit ihren Eltern und ihrem zukünftigen Arbeitgeber. Alle
ermutigten sie, sich diese Erfahrung nicht entgehen zu lassen.
Insbesondere ihr zukünftiger Arbeitgeber verspreche sich viel "Input"
durch die Erfahrungen, die sie auf ihrer Weltreise sammelt, erzählt
sie.
Susie betont Freiheit, Sponaneität und Flexibilität, mit denen sie die
Dinge auf sich zukommen lassen kann. Das Sich-treiben-Lassen ist das
wichtigste Element ihres Reisestils - "the whole point of backpacking",
wie sie sagt. Driften, was auch der amerikanische Soziologe Richard
Senett als den dominierenden Zustand des "flexiblen Menschen" im
Zeitalter der Globalisierung sieht. Fast alle Rucksacktouristen gehören
der gehobenen Mittelklasse an und sind gut ausgebildet. Immer wieder
kommt zur Sprache, wie überlegen sich alle gegenüber ihren Freunden zu
Hause fühlen, da diese gelangweilt oder gestresst zur Arbeit gehen,
während sie auf Elefanten reiten und sich unter Wasserfällen waschen.
Der Zwang, ein individuelles Ich-Projekt zu entwickeln, wird mit den
Karriereanforderungen postindustrialisierter Ökonomien in Einklag
gebracht. Denn die Entscheidung, alleine zu reisen, sich temporär mit
fremden Personen unterschiedlicher Nationalitäten zusammenzuschließen,
sich auf unbekannte Situationen einzulassen - all diese Fähigkeiten
sind gleichzeitig die heiß begehrten Softskills des Arbeitsmarktes. Auf
einer Rucksackreise können sie erworben werden.
Die Rucksackreise ermöglicht eine spezifische Qualifizierung und
erfüllt das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Auch für Nora aus
Deutschland hat ihre Weltreise eine direkte Verbindung zu ihrem
Studienfach "Internationales Management". Genauso für Tim: "Diese
Weltreise wird sicherlich keinen Einfluss darauf haben, wie ich meinen
Job als Tiefbauingenieur ausführe, aber sie wird meine Chancen erhöhen,
überhaupt einen Job zu bekommen." Er wollte eigentlich gleich mit der
Uni anfangen, aber beim Vorstellungsgespräch dort meinten sie, er solle
zuerst noch einen Round-the-world-Trip machen, dann würde er einen
Platz bekommen. "Deswegen bin ich hier und ich finde das gut so, weil
wenn jemand internationales Recht studieren will, dann sollte er auch
mal über den Tellerrand von England hinausgesehen haben, oder?"
Jana Binder reiste im Rahmen der Recherchen für ihre Doktorarbeit zum
Thema Rucksackreisen im Fach Ethnologie drei Monate durch Südostasien
und fragt sich heute, wann sie die erworbenen Softskills nun endlich
auch in ökonomisches Kapital umwandeln kann.
taz Nr. 7326 vom 3.4.2004, Seite 15, 194 TAZ-Bericht JANA BINDER
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