+comunity+ *kig* ad kulturbeirat

Ernst Binder ernstbinder at web.de
Mo Mär 1 20:28:49 CET 2004


lieber hans fräulin
liebe diskussionsrunde

1 als erklärter gegner jeglicher demokratie in kunst und kultur bin ich gegen die selbstverwaltung der von der öffentlichen hand zu vergebenden subventionen. ich möchte hier auch den weitverbreiteten irrtum klarstellen, daß stadtrat buchmann oder landeshauptmann klasnic gelder zu vergeben haben. als gewählte vertreter des volkes haben sie die aufgabe übernommen, stellvertretend diesen job nach bestem wissen und gewissen zu erfüllen. 

2 beschämend finde ich, daß es sowohl in diesem forum als auch in gesprächen mit mitgliedern des kulturbeirats nie um inhaltliche auseinandersetzungen, sondern ausschließlich um die verteilung des subventionskuchens zu gehen scheint. daß der verlust europäischer identität damit einhergeht, daß ernsthafte künstler in zukunft ihren lebensunterhalt mit einer tätigkeit als taxifahrerIn oder kellnerIn bestreiten werden müssen, wird offensichtlich als unabwendbares schicksal betrachtet und hingenommen. 

3 daß allerdings peter oswald diesem kulturbeirat angehört, ist ein starkes stück. sich von jemandem beraten (was der begriff "beirat" wohl impliziert) zu lassen, der gerade den sterischen herbst gegen die klippen manövriert hat und dabei ist, das sinkende schiff zu verlassen, verstehe ich als affront gegenüber denjenigen, die seit jahren unter entwürdigenden finanziellen bedingungen die fiktion aufrecht erhalten, daß in graz ein kulturfreundliches klima herrsche. 

4 daß mit kulturgeldern chick corea und andere alt-stars (die in anderen städten die hallen mit zahlendem publikum füllen) zum gaudium des VIP-publikums engagiert werden und die grazer innenstadt sich sommer für sommer mehr in ein steirisches oktoberfest verwandelt, paßt in das bild, das graz sich 2003 erarbeitet hat: eine potemkinsche kulturstadt, die tagestouristen das gefühl gibt, kunst und kultur sei konsumierbar wie das samstagabendprogramm des ORF. 

5 die diagonale (die 2004 nur deshalb stattfinden kann, weil die organisatoren honorarfrei arbeiten) als beispiel anzuführen,  finde ich - gelinde gesagt und mit aller hochachtung vor engagierter naivität - ungeheuerlich. daß die bestellten kulturbeiräte honorarfrei ihre eigenen (überwiegend gut dotierten) pfründe und interessen in diesem gremium verteidigen und vertreten werden, ist für mich (selbst)verständlich. 

6 ob kulturentwicklungskonzepte überhaupt notwendig sind, stelle ich in frage. dergleichen konzepte verschwenden finanzielle ressourcen des kulturbudgets an selbsternannte kulturmanager und sogenannte kuratoren, und läßt die künstler an der ihnen hingestreckten hand verhungern.

7 was ich an der argumentation der sogenannten "freien szene" vermisse, ist einerseits eine inhaltliche abgrenzung zu den etablierten institutionen, und andererseits die bereitschaft, den entscheidenden schritt weiterzugehen und jene grenzbereiche auszuloten, die von den offiziellen kulturträgern aus trägheitsgründen noch nicht vereinnahmt und institutionalisiert wurden. 

8 beim ruf nach abschaffung des "steirischen herbst" hätte ich zB. einen aufschrei der empörung erwartet. als schaufenster dessen, was in einer kleinstadt wie graz möglich ist, bot er jahrelang ein tableau für viele kreative kräfte dieser stadt und hat andererseits auch die begegnung mit ausländischen künstlern ermöglicht, für die graz nicht nur die letzte station auf ihrer festival-tournee darstellte.

zusammenfassend gesagt, würde ich mir mehr klarheit wünschen über die absichten und individual(anarchistischen) konzepte der "freien szene", denn kultur in einer stadt verstehe ich als die summe dessen, was produziert, gestaltet und präsentiert wird. an einen gemeinsamen nenner glaube ich nicht,- es sei denn, man bezeichnete damit den willen, sich und sein erfahrenes erlebtes (was unabdingbar ist für schöpferische tätigkeit) der öffentlichkeit auszusetzen, um damit dem prozess von menschsein und menschwerdung einen puzzlestein hinzuzufügen, der dieser unendlichen und unglaublich wunderbar vielfältigen galaxie des lebens ehrfurcht erweist und dem individuum jene würde und (be)achtung schenkt, die eine zeitgeistige geistlose zunft von "machern" ihm verweigert.

... besser scheitern,

ernst m. binder

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