+comunity+ post von klaus klaus schrefler

pavel pavel at mur.at
Fr Aug 22 12:08:02 CEST 2003


befindet sich im anhang und wird hiemit zum mitdenken weitergeleitet,
lg
pet


20. August 2003
Sehr geehrter Herr Stadtrat Dr. Buchmann!

Ich habe Ihre Einladung zum "Open Space" erhalten. Grundsätzlich bringe ich mich gerne auch für den Entwicklungsprozess hinsichtlich eines für Graz dringend notwendigen Kulturentwicklungsplans ein. Angesichts der Zielsetzungen des nun initiierten Prozesses sehe ich mich allerdings gezwungen, bereits vorab eine Stellungnahme zu verfassen!

Es stellt sich mir die Frage, was an der Veranschlagung eines dreimonatigen Arbeitszyklus' für ein Kulturentwicklungskonzept als ehrgeizig angesehen werden kann. Nimmt man Erfahrungen aus dem In- und Ausland her [Salzburg, Linz, Berlin-Pankow, Osnabrück, etc.], so braucht ein derartiger Prozess(!) zumindest deutlich länger als die hier veranschlagten drei Monate, in denen ja korrekterweise nur wenige Arbeitstage verpackt sind.

Hat nicht auch die Grazer Bevölkerung ein Anrecht darauf, dass aus dem Schlagwort Kultur wieder ein Spiegel einer Gesellschaft wird? Oder müssen wir die kulturelle Entwicklung in den letzten Jahren, deren Evaluierung - nachdem zeitlich nicht vorgesehen - offenbar keiner eingehenderen Untersuchung bedarf, als Spiegel eben dieser Grazer Gesellschaft verstehen? Manch vergleichbare europäische Stadt kann mit deutlich offenerem und besserem Umgang mit den lokalen Kulturschaffenden und folglich mehr Engagement aufwarten ohne den Titel Kulturhauptstadt für sich zu beanspruchen. Es ehrt das Selbstbewusstsein aller, die daran glauben, dass das Motto "Graz darf alles!" einen ernsthaften Beitrag zu einer grundsätzlichen Ausrichtung der Grazer Kulturentwicklung leisten kann. Ich sehe jedoch die Gefahr eines weiteren kosmetischen Eingriffs, der zwar der Hülle Gutes tut, aber im Kern nichts ändert.

Diese Stadt braucht einen Humus auf dem Kultur und Kunst gedeihen können, daraus entwickelt sich eine Vision, die die Probleme unserer Zeit angemessen reflektiert, was folglich auch einer ambitionierten Begegnung dienlich ist; dass ein weiteres schnelles Konzept dem in irgendeiner Art und Weise Rechnung tragen wird, wage ich zu bezweifeln.

Ich bin der Meinung, dass sich Kultur entwickeln können muss, und dass dafür auch gewisse Grundbedingungen notwendig sind. So wie die persönliche charakterliche Entwicklung eines Menschen eines größeren Aufwandes bedarf, als in einer Mittagspause die Ziele für Jahre festzulegen, so kann eine seriöse Auseinandersetzung mit dieser Materie sich nicht in einer kosmetischen Korrektur von Versäumnissen erschöpfen; und diese gibt es neben starkem Engagement von etlichen engagierten kulturellen Institutionen leider doch zuhauf. Kunst und Kultur stellen ein kreatives Potential dar, das die grundlegende Ausrichtung einer Gesellschaft entscheidend mitbestimmt; die unter diesen Begriffen zusammengefassten Tätigkeitsbereiche erschöpfen sich nicht lediglich in der Ausrichtung von an der Oberfläche erkennbaren Events und Veranstaltungen, die nur dazu geeignet sind, mehr oder minder touristische Zielsetzungen zu fördern, aber auf Dauer die eigene Substanz verarmen lassen. 

 
Aus meiner Sicht sind sich folgende Fragen zu stellen: 

  a.. Will Graz für jene Kommunikation zwischen Kultur- und Kunstschaffenden (und der Bevölkerung) sorgen, die als langfristiger offener Dialog gesehen werden kann oder wird Kultur ein Rad am Wagen einer Gesellschaft bleiben, der führerlos in eine Zeit driftet, die man gemeinhin als die eigene Zukunft bezeichnet? 
  b.. Will Graz eigenständig neue Visionen entwickeln, wie die Zukunft aussehen kann und sich dieser Verantwortung stellen? 
  c.. Will Graz, die zweitgrößte Stadt Österreichs, folglich die Grundlagen dafür schaffen, dass künstlerisches Potential hier einen Nährboden findet, der zum Bleiben oder gar zur Ansiedlung beiträgt? 
  d.. Will Graz, vertreten durch die gewählten politischen Verantwortlichen, sich dazu bekennen diesem Fragenkomplex angemessen zu begegnen? 

Nicht zuletzt werden vermutlich diese oder zumindest ähnliche Fragen als Anlass gesehen, den eben initiierten Prozess zu legitimieren. Genau deshalb erscheint es mir bedenklich zu glauben, dass ein notwendigerweise möglichst breiter demokratischer Diskurs in nur kurzer Zeit ein Kulturentwicklungskonzept ergeben kann, das auf Jahre hinaus funktionieren soll. Diese Frage stellt sich mir beim Lesen der Einladung zwangsweise bereits im Vorfeld!

So wie viele andere in dieser Stadt trage ich gerne zu dieser Herausforderung bei. Ich bin jedoch der Meinung, dass die nötigen Grundlagen dafür im Auftrag der Gesellschaft von politischer Seite zu schaffen sind und dass es also notwendig ist, diesem Prozess jene Zeit einzuräumen, die es ermöglicht, die eigentlichen Probleme zu thematisieren. Ein paar Tage können dazu nicht genügen.

Mit den besten Grüssen verbleibe ich


Dr. Klaus Schrefler


Kopie ergeht an:
Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl
IG Kultur Steiermark
Kommunikationsforen der Grazer Kulturschaffenden



Klaus Schrefler
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