+comunity+ AW: [Strategie] Re: ig kultur neuigkeiten

Jürgen Kapeller juergen.kapeller at tub.at
Mi Aug 6 19:44:38 CEST 2003


lieber jogi,

ich will da nicht alle langweilen und punkt für punkt alles erläutern, denn
du weißt ganz genau, wovon ich red und was alles so angesprochen ist. Ich
mix auch nix zam oder bring sachen durcheinander.
Aber ich bring die essenz meiner sichtweise deiner stellungnahme gern noch
mal auf 2, 3 punkte:
* ich halte jegliche (unterschwellige) vorverurteilung einer noch nicht
beurteilbaren konzeptionierung für destruktiv und überflüssig. Mein credo
bleibt, dass man sich die dinge erst mal anschauen muss, bevor man buht.
Auch wenn du das jetzt so lieblich als "äußerst vage angedeutete richtung"
abschwächen möchtest - dein aufruf zum generalboykott spricht eine deutlich
andere sprache. Bleib wenigstens deiner linie treu oder sag offen, dass es a
bledsinn war. Mir is das ja wurscht, wenn sich wer selbst ins aus schießt
indem er kommunikationsverweigerung betreibt, aber ich denke, das sollte
keine generelle linie sein...
* wenn du (ohne begründung) der meinung bist, dass keine firma für derartige
konzeptionen geeignet erscheint, dann halt ich dem begründet entgegen, dass
NUR eine FIRMA wirklich geeignet ist, sowas zu tun. Denn die leute dort
verfügen wenigstens über das methodische grundgerüst, überhaupt konzeptionen
zu erstellen bzw. haben auch erfahrung darin und sind unabhängig, nicht
involviert und daher im weitesten sinne objektiv, was man von keinem lokalen
proponenten behaupten kann. Das ergebnis wird dann vermutlich vielen nicht
gefallen aber es geht eben über persönliche interessen einzelner hinaus und
darum liegt darin schon rein systemisch eine viel höhere chance zur
nachhaltigkeit. konzept hin oder her, die politischen günstlinge werden am
konzept vorbei sowieso genügend wege finden....
es ist ein ähnliches dilemma wie mit der evaluierungskomission: keiner dort
hat die recht komplexe methodik aussagekräftiger evaluierungen intus (das
ist was sehr anspruchsvolles, will man es gut machen) und jeder ist mit 100
eigeninteressen befangen....
* ich (und noch ein paar andere auch) empfinden in dem ganzen geplänkel um
alternativ-initiativen-avantgarde-wasweißichnoch-kunst eine gehörige portion
schizophrenie, die verallgemeinert (mach ich öfters - kommt auch meistens
hin...) darin zum ausdruck kommt, dass man sich gerne als elitär hochgeistig
rausputzt und nach vorne hin ein überspanntes "being different" abfeuert,
davon schwafelt, den wert eines projekts nicht an der besucherzahl messen zu
können und in wahrheit genau das am anderen ende des spektrums tut. Nämlich
dann, wenn es um jazzsommer etc. geht. Al di meola z.b. ist einer der besten
und interessantesten gitarristen der welt und es ist wahrlich keine schande,
dass er hier auftritt und da willst du mir den jazzsommer als beispiel dafür
hinstellen, was man nicht haben will? Um deine zitat aus Ally McBeal zu
missbrauchen: "Geh bitte..." Sag mir doch irgendeinen hier tätigen oder
gebürtigen künstler, der zu den 20 interessantesten oder erfolgreichsten der
welt zählt, egal ob es ein genre für 5 milliarden wie jazz oder für 500 ist?
(btw.: die antwort lautet leider a. schwarzenegger...) Wo bleibt das
augenmaß kollege? Soll kulturpolitik hierorts lediglich als support für
minderheitengeschmack dienen. Du kannst nicht erwarten, ein positives echo
für deine kulturellen/künstlerischen anliegen zu bekommen, wenn du sinnlose
feindbilder zeichnest, die noch dazu erfolgreich sind. Leben und leben
lassen ist die devise und es gibt in der örtlichen szene 1000 mal blödere
dinge als jazzsommer etc. Denk zb. mal an die frage, wie der blaue euter in
den nächsten jahren denn sinnvoll bespielt werden soll. Wozu gegen sachen
antreten, die eh funktionieren, wenn es zig andere gibt, die man wirklich
kritisieren müsste? Versteht du das unter kritische inhalte, einfach
erfolgreiche sachen als (für dich) unerwünscht zu klassifizieren? Grüß gott
aber auch. Sollt ma nicht mal die wirklichen probleme angreifen, statt über
mainstream zu maulen? Grüß gott an dieser stelle auch an die IG....
Alles hat seine berechtigung - jazzsommer wie local task. Und
interesanterweise is die toleranz der "mainstreamer" gegenüber den exoten
bedeutend höher, als jene der exoten gegenüber den mainstreamern, wie deine
statements eindrucksvoll belegen.
Ich denke, dass "klassenkampfparolen" in einer modernen kulturpolitik nicht
nur am zeitgeist vorbei gehen, sondern recht nachhaltig den eigenen
untergang sichern. Wie du siehst, kann ich beim polarisieren locker
mithalten, aber ich bleibe dabei offen und will dinge einfach zulassen und
nicht a priori negative stimmung zu dingen haben, die keiner von uns jetzt
bereits beurteilen kann.
Darum ist die frage nach einer (gemeinsamen) strategie auch weit zu früh
gestellt. Die karten werden am 10.9. (bezeichnenderweise 1 tag vor 9/11)
offen gelegt - jede einschätzung davor is kaffeesudlesen.
Man sollte sich eher fragen, warum das alles so gespielt wird, wie eben
jetzt, aber das liegt auf der hand und ist schnell beantwortet. Dann bleibt
halt nur mehr zu klären, wie man eine schöne pluralität schaffen kann, ohne
gleich profillos zu werden. So einfach ist das.
Und dann ist sehr schnell klar, dass man sich auf das konzentrieren muss,
was man zu bieten hat oder machen möchte und das muss man dann eben sauber
und wirksam (=nachvollziehbar) vertreten. Auch einfach. Wenn man X nicht
mag, dann muss man halt interessante alternativen bieten. Und keine einzige
in die kulturpolitik involvierte person, weder beamte noch politiker noch
konzeptierer sind so bedingungslose mainstream-verfechter wie du sie
hinstellen möchtest. Jeder davon hat genug wertschätzung für andersartiges,
ausgefallenes, ungewöhnliches, experimentelles etc. und das wird auch
ausreichend einfließen. Es kann nur dann nicht einfließen, wenn wer
boykottiert....

Der effekt ist nämlich genau der, dass man extrem leicht angreifbar und
aushebelbar wird, wenn man methodisch und argumentativ nicht sauber
vorgeht - aber das soll nicht mein problem sein. Ich werd dort sicher meine
linie vertreten und bei keinem bremsversuch mitmachen.

lg
jk




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