+comunity+ AW: [Strategie] Re: ig kultur neuigkeiten

ruth at mur.at ruth at mur.at
Do Aug 7 12:00:55 CEST 2003


Liebe Listen-Beteiligte und Strategieinteressierte!

Ich glaub ich meld mich das erste mal in der Liste, obwohl ich sie seit 
Anbeginn interessiert verfolge. Mein Name ist Ruth Bartussek, von Radio 
Helsinki. 

Im diesem Falle der Diskussion über ein Kulturkonzept für die Stadt Graz, dass 
da anscheinend (endlich?) in einen Entsehungsprozess treten soll - als mehr seh 
ich persönlich diese Angelegnheit nämlich nicht - möchte ich mich doch einmal 
melden.


Dazu zwei Dinge:

1) ich möchte aus durchaus persönlichem Bezug und Interesse den Berufsstand der 
Organisationsentwickler verteidigen, besonders wenn sie - so wie delta 
consulting, die laut homepage eine Organisationsentwicklungsfirma und keine 
Eventagentur ist - systemische Ansätze haben und prozessorientiert mit denen 
ihnen zur Verfügung stehenden (und meist ziemlich umfassend einsetzbaren) 
METHODEN arbeiten. 

In der Einladung von Stadtrat Buchmann an die Kulturtakteure der Stadt Graz ist 
diese Firma ausschließlich als externes Moderatorenteam genannt. Damit ist 
meiner Erfahrung nach NICHT die ENTWICKLUNG eines Kulturkonzeptes gemeint, 
sondern die (professionelle) PROZESSSBEGLEITUNG der Akteure, die ein Konzept 
entwickeln wollen. In diesem Fall möchte ich die Betonung auf WOLLEN setzen. 

Dass diese Einladung von höchster Magistratsstelle ausgeht - nuja, die 
Motivation dafür wird man im Laufe des Prozesses noch hinterfragen müssen. 
Voraussetzung dafür aber ist, dass man - und damit meine ich auch uns (die 
Freie Szene oder was auch immer darunter zu verstehen ist oder wer sich dazu 
rechnet) - sich auf so einen Prozess (aktiv und bewußt) einlässt. In gewisser 
Hinsicht steht auch die oberste Magistratsstelle unter Zugzwang - nach "oben" 
aber auch nach "unten", es ist nämlich nicht viel da an Konzepten (ist 
zumindest mein persönlicher Eindruck). Und in so einem Vakuum kann natürlich 
(vor allem auch mit Geld) ziemlich viel Mist passieren.

Wie sehr diese Methoden an sich "objektiv" eingesetzt werden können, zeigt u.a. 
dass für die Entwicklung eines feministische Regierungsprogramms, das letztes 
Jahr von durchaus linken Frauengruppierungen initiiert wurde, exakt die gleiche 
Vorgangsweise gewählt wurde. Übrigens ebenfalls nicht zuletzt aus Zeitdruck und 
aufgrund der Erfahrung, dass reine basisdemokratische Diskussionsmethoden ohne 
professionelle Begleitung ineffektiv und vor allem auch emotionell und zeitlich 
zu belastend sind.      

2) Es geht also (anscheinend) um einen Entwicklungsprozess, der in Gang 
gebracht werden soll (wenn auch unter Zeitdruck). Prozesse haben es nun so an 
sich, dass sie GESTALTBAR sind. Es kommt also ganz darauf an, wer hier 
mitgestaltet und wie das vor sich geht. 

Und hier seh ich auch die Chance, wenn nicht sogar die Herausforderung und 
"Pflicht" für die "freie Szene" (Definition siehe oben), sich dementsprechend 
lautstark, aber auch konstruktiv einzumischen, wenn ihre Anliegen ernst 
genommen werden sollen. Passiert das nicht, besteht meiner Meinung nach die 
Gefahr, dass diese Aufgabe andere übernehmen, wenn nicht sogar an sich reißen 
(ob "wir" nun dagegen protestieren oder nicht). Mit dem Verweigern eines 
Entwicklungsprozesses wird die Weiterentwicklung an sich meist nicht 
aufgehalten, bloß deren Richtung ändert sich. Beispiele dafür gibt es genug. 
Und ob das in diesem Falle wirklich in unserem Interesse ist, wage ich zu 
bezweifeln. 


lg

Ruth


Zitat von Jürgen Kapeller <juergen.kapeller at tub.at>:

> lieber jogi,
> 
> ich will da nicht alle langweilen und punkt für punkt alles erläutern, denn
> du weißt ganz genau, wovon ich red und was alles so angesprochen ist. Ich
> mix auch nix zam oder bring sachen durcheinander.
> Aber ich bring die essenz meiner sichtweise deiner stellungnahme gern noch
> mal auf 2, 3 punkte:
> * ich halte jegliche (unterschwellige) vorverurteilung einer noch nicht
> beurteilbaren konzeptionierung für destruktiv und überflüssig. Mein credo
> bleibt, dass man sich die dinge erst mal anschauen muss, bevor man buht.
> Auch wenn du das jetzt so lieblich als "äußerst vage angedeutete richtung"
> abschwächen möchtest - dein aufruf zum generalboykott spricht eine deutlich
> andere sprache. Bleib wenigstens deiner linie treu oder sag offen, dass es
> a
> bledsinn war. Mir is das ja wurscht, wenn sich wer selbst ins aus schießt
> indem er kommunikationsverweigerung betreibt, aber ich denke, das sollte
> keine generelle linie sein...
> * wenn du (ohne begründung) der meinung bist, dass keine firma für
> derartige
> konzeptionen geeignet erscheint, dann halt ich dem begründet entgegen, dass
> NUR eine FIRMA wirklich geeignet ist, sowas zu tun. Denn die leute dort
> verfügen wenigstens über das methodische grundgerüst, überhaupt
> konzeptionen
> zu erstellen bzw. haben auch erfahrung darin und sind unabhängig, nicht
> involviert und daher im weitesten sinne objektiv, was man von keinem
> lokalen
> proponenten behaupten kann. Das ergebnis wird dann vermutlich vielen nicht
> gefallen aber es geht eben über persönliche interessen einzelner hinaus und
> darum liegt darin schon rein systemisch eine viel höhere chance zur
> nachhaltigkeit. konzept hin oder her, die politischen günstlinge werden am
> konzept vorbei sowieso genügend wege finden....
> es ist ein ähnliches dilemma wie mit der evaluierungskomission: keiner dort
> hat die recht komplexe methodik aussagekräftiger evaluierungen intus (das
> ist was sehr anspruchsvolles, will man es gut machen) und jeder ist mit 100
> eigeninteressen befangen....
> * ich (und noch ein paar andere auch) empfinden in dem ganzen geplänkel um
> alternativ-initiativen-avantgarde-wasweißichnoch-kunst eine gehörige
> portion
> schizophrenie, die verallgemeinert (mach ich öfters - kommt auch meistens
> hin...) darin zum ausdruck kommt, dass man sich gerne als elitär
> hochgeistig
> rausputzt und nach vorne hin ein überspanntes "being different" abfeuert,
> davon schwafelt, den wert eines projekts nicht an der besucherzahl messen
> zu
> können und in wahrheit genau das am anderen ende des spektrums tut. Nämlich
> dann, wenn es um jazzsommer etc. geht. Al di meola z.b. ist einer der
> besten
> und interessantesten gitarristen der welt und es ist wahrlich keine
> schande,
> dass er hier auftritt und da willst du mir den jazzsommer als beispiel
> dafür
> hinstellen, was man nicht haben will? Um deine zitat aus Ally McBeal zu
> missbrauchen: "Geh bitte..." Sag mir doch irgendeinen hier tätigen oder
> gebürtigen künstler, der zu den 20 interessantesten oder erfolgreichsten
> der
> welt zählt, egal ob es ein genre für 5 milliarden wie jazz oder für 500
> ist?
> (btw.: die antwort lautet leider a. schwarzenegger...) Wo bleibt das
> augenmaß kollege? Soll kulturpolitik hierorts lediglich als support für
> minderheitengeschmack dienen. Du kannst nicht erwarten, ein positives echo
> für deine kulturellen/künstlerischen anliegen zu bekommen, wenn du sinnlose
> feindbilder zeichnest, die noch dazu erfolgreich sind. Leben und leben
> lassen ist die devise und es gibt in der örtlichen szene 1000 mal blödere
> dinge als jazzsommer etc. Denk zb. mal an die frage, wie der blaue euter in
> den nächsten jahren denn sinnvoll bespielt werden soll. Wozu gegen sachen
> antreten, die eh funktionieren, wenn es zig andere gibt, die man wirklich
> kritisieren müsste? Versteht du das unter kritische inhalte, einfach
> erfolgreiche sachen als (für dich) unerwünscht zu klassifizieren? Grüß gott
> aber auch. Sollt ma nicht mal die wirklichen probleme angreifen, statt über
> mainstream zu maulen? Grüß gott an dieser stelle auch an die IG....
> Alles hat seine berechtigung - jazzsommer wie local task. Und
> interesanterweise is die toleranz der "mainstreamer" gegenüber den exoten
> bedeutend höher, als jene der exoten gegenüber den mainstreamern, wie deine
> statements eindrucksvoll belegen.
> Ich denke, dass "klassenkampfparolen" in einer modernen kulturpolitik nicht
> nur am zeitgeist vorbei gehen, sondern recht nachhaltig den eigenen
> untergang sichern. Wie du siehst, kann ich beim polarisieren locker
> mithalten, aber ich bleibe dabei offen und will dinge einfach zulassen und
> nicht a priori negative stimmung zu dingen haben, die keiner von uns jetzt
> bereits beurteilen kann.
> Darum ist die frage nach einer (gemeinsamen) strategie auch weit zu früh
> gestellt. Die karten werden am 10.9. (bezeichnenderweise 1 tag vor 9/11)
> offen gelegt - jede einschätzung davor is kaffeesudlesen.
> Man sollte sich eher fragen, warum das alles so gespielt wird, wie eben
> jetzt, aber das liegt auf der hand und ist schnell beantwortet. Dann bleibt
> halt nur mehr zu klären, wie man eine schöne pluralität schaffen kann, ohne
> gleich profillos zu werden. So einfach ist das.
> Und dann ist sehr schnell klar, dass man sich auf das konzentrieren muss,
> was man zu bieten hat oder machen möchte und das muss man dann eben sauber
> und wirksam (=nachvollziehbar) vertreten. Auch einfach. Wenn man X nicht
> mag, dann muss man halt interessante alternativen bieten. Und keine einzige
> in die kulturpolitik involvierte person, weder beamte noch politiker noch
> konzeptierer sind so bedingungslose mainstream-verfechter wie du sie
> hinstellen möchtest. Jeder davon hat genug wertschätzung für andersartiges,
> ausgefallenes, ungewöhnliches, experimentelles etc. und das wird auch
> ausreichend einfließen. Es kann nur dann nicht einfließen, wenn wer
> boykottiert....
> 
> Der effekt ist nämlich genau der, dass man extrem leicht angreifbar und
> aushebelbar wird, wenn man methodisch und argumentativ nicht sauber
> vorgeht - aber das soll nicht mein problem sein. Ich werd dort sicher meine
> linie vertreten und bei keinem bremsversuch mitmachen.
> 
> lg
> jk
> 
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