[Backstage-list] Nochmals das erste Feedback von Fernweh

Michael Zinganel zinganel at t0.or.at
Mo Feb 2 14:29:26 CET 2004


Feedback von FernWeh auf Backstage


Ablauf:

Der Samstag war ziemlich voll gepackt, viele Beiträge konnten nur
ansatzweise diskutiert werden. Weniger Beiträge wären sicherlich zu Lasten
der Idee gegangen, die Bandbreite unterschiedlicher Tourismusdiskurse in den
diversen Disziplinen vorzustellen. Ein strikteres Zeit-Regiment (etwa
maximal 15 Minuten Projektvorstellung plus anschließende ebenfalls zeitlich
begrenzte Diskussion) wäre eine Option. Alternativ hätte auch eine Bündelung
der Debatten möglicherweise zu mehr zeitlicher Effizienz, aber auch
inhaltlicher Schärfe beigetragen, in dem nicht die einzelnen Beiträge
debattiert werden, sondern die Panelblöcke nach der Vorstellung aller
Beiträge zusammenfassend unter den im Exposé bzw. im Einladungsschreiben
aufgeführten Fragestellungen diskutiert werden. Dies hätte sicherlich auch
Diskussionsstränge für die weitere Perspektive des Projekts stärker hervor
treten lassen (dazu weiter unten mehr).


Inhalt: 

Viele Begriffe blieben unscharf, die verschiedenen Beiträge wurden zu wenig
miteinander in Verbindung oder auch. in Differenz gebracht. Oft blieb
unklar, von welchem Tourismus und damit von was für einer Art von
Backstage-Bereich gerade gesprochen wird. Uns (als eher mit dem
Ferntourismus beschäftigte) hat beispielsweise gewundert, welchen
inhaltlichen Raum Österreich als Land der Bereisten einnahm, wodurch
Backstage in verschiedenen Beiträgen mit der “Wirklichkeit³ alpiner
Ferienorte verlinkt wurde. Das ÖsterreicherInnen jedoch nicht nur
Weltmeister im Bereist-werden sind, sondern ebenso im aktiven Reisen,
tauchte nicht auf: laut TourMIS reisen 55 % aller Österreicher ­ es gibt
8,4 Mio Reisen jährlich im eigenen Land und 6.4 Millionen Reisen ins
Ausland. 

Gerade um zentrale Aspekte des Backstage zu verdeutlichen, muss in der
inhaltlichen Debatte zwischen verschiedenen Formen des Tourismus
unterschieden werden, trotz struktureller Parallelen. Nicht nur, was ähnlich
ist, sondern gerade auch die Unterschiede zwischen Fernreisen und Reisen in
Europa erscheinen uns interessant. Die Frage nach (differenzierender) Macht
(nach Terkessidis ein wesentliches Merkmal des Rassismus) und ökonomischer
Situation sollte solchen Debatten als Folie zugrunde liegen. Andernfalls
droht die Faszination postmoderner Hyperrealität und hybrider
Identitätsbildung zur Verklärung und damit zur weiteren Kulissenbildung der
“Rollen der verschiedenen Akteure und der durch sie definierten sozialen
Räume³ zu werden. 

So kann die Präsentation und touristische Wahrnehmung solcher Orte wie
Hintertux vor dem Hintergrund rechtlicher Gleichberechtigung und
ökonomischer Möglichkeiten eher als Spiel zwischen TouristInnen und
Bereisten rezipiert werden. Die Hintertuxer müssen sich nicht (mehr) als
rückständige BergbewohnerInnen “verkaufen³, sondern können sich in einer
Mischung moderner und postmoderner Elemente einerseits als hoch
technologisierte Eventgemeinden vorstellen, und gleichzeitig quasi Augen
zwinkernd mit den Bildern der idyllischen, utopischen Bergwelt kokettieren,
“sich selbst zitierend³ mittels Hotelbauweise, Kneipeninneneinrichtung ­ die
ganze Bergwelt in einer Disco! ­ und technisch gewartetem Gletscher.
Außerdem verbleibt jederzeit die Möglichkeit, die (Bühnen-)Seite zu
wechseln, also die Lederhose (wieder so ein Bild) gegen städtische Klamotten
zu wechseln und umzuziehen. Sie sind dann nicht mehr so ohne weiteres als
“BergbewohnerIn³ zu erkennen, können also den ihnen permanent
zugeschriebenen und reproduzierten Bildern individuell “entfliehen³.

Diese Option existiert für die meisten Bereisten in anderen Ländern nicht!
Die zugeschriebenen Eigenschaften werden ihnen quasi in den Körper
geschrieben und bilden eine komplexe Bühne verschiedener Deutungsmuster, die
für den machtvoll ausgestatteten Betrachter und Touristen “die Welt
einleuchtend erklärt³ (so Robert Miles). Im Ensemble zur Produktion von
“Andersheit³ stellt Tourismus eine zentrale Institution dar, da es gerade
Anliegen des Tourismus ist, Differenz erfahrbar (konsumierbar) zu machen.
Differenz, die im Urlaub als angenehm und bereichernd angesehen wird, und
auch die Welt der Bereisten “einleuchtend³ erklärt, “zu Hause³ jedoch als
Bedrohung wahrgenommen wird, da man eben diese Zustände in den Bereisten
Ländern nicht “zu Hause³ haben will.

Diese Ausführungen sollen keinesfalls “den einen³ Tourismus bzw.
Backstage-Bereich gegen “den anderen³ in Stellung bringen, sondern eher die
inhaltliche Diskussion bezüglich struktureller Gemeinsamkeiten und eben
Differenzen schärfen, gerade in Bezug auf zukünftige verschiedene Stränge
des Projekts. Womit wir auch beim nächsten und letzten Punkt wären, der
Diskussion am Sonntag.

Perspektive
Die gemeinsame Diskussion über den weiteren Projektverlauf und zukünftige
Schwerpunktsetzungen hat ja leider in der wohl angestrebten Form nicht
stattgefunden. Das lag sicher zum einen an dem oben beschriebenen fehlenden
Herauskristallisieren zentraler Fragestellungen, um die sich herum
Arbeitsgruppen bilden könnten. Es schien vielmehr eine Fülle verschiedener
Einzelprojekte vorhanden zu sein. Zum anderen lag es möglicherweise daran,
dass viele TeilnehmerInnen und Beiträge quasi in einer “Antragssituation³
waren, indem sie ihr spezielles Projekt vorgestellt haben und die
Entscheidung des weiteren Projektverlaufs an Euch delegiert haben.

Neben der sich ja bereits abzeichnenden Schwerpunktsetzung “Dark Tourism³
und der Raumbespielung im Sommer in Graz (möglicherweise ums Thema
Städtetourismus?) wäre für uns interessant, eine Debatte um die Themen
Rassismus/Bildproduktion/Exotismus sowie Tourismus ­ Migration
weiterzuentwickeln. Die von Euch im Expose skizzierten Phänomene wie etwa
der Begegnung von migrantischem Personal und TouristInnen gleichermaßen in
der “Fremde³, oder in entgegen läufigen Bewegungen von TouristInnen und
MigrantInnen, könnten Ausgangspunkt einer solchen Debatte sein. Zahlreiche
eingereichte Abstracts und Projektvorstellungen thematisieren genau diese
Wechselwirkung und gegenseitige Beeinflussung von Migration und Tourismus.
Insbesondere sehen wir, dass hier der Tourismus sehr stark in andere
Sektoren eingreift ­ und in gewisser Weise eine Art Vorreiterrolle
postmoderner Regime spielt. Die grenzenlose Produktion von diversen Images
einerseits, ihre Manifestation in politischen Entscheidungs- und
Gestaltungsfreiräumen bzw. Entscheidungs- und Gestaltungszwängen
andererseits, der Blick auf genau diesen Zusammenhang bringt dann die Füße
wieder auf den Boden. Eine solcher Fokus reduziert die Gefahr, in der
postmodernen Hyperrealität und dem Allzusammenhang mit ihren scheinbar
unbegrenzten Möglichkeiten ins Beliebige zu entschweben. Hier möchten wir
uns lediglich gegen eine Vernachlässigung der nicht-diskursiven, materiellen
Ebene aussprechen und an den Realität konstituierenden Effekt von
diskursiven Konstruktionen erinnern.

Oder anders formuliert: Der am Wochenende ziemlich häufig gefallene Verweis,
es käme immer darauf an, wer Regie führe, reicht da einfach nicht aus, kann
nicht der Endpunkt der Debatte sein. Welche konkreten Bedingungen und
gesellschaftlichen Machtverhältnisse geben den Spielraum vor? Zwar darf hier
Regie geführt werden, den Rahmen jedoch bestimmen andere. Erst hier wird die
Frage für uns spannend im Sinne von herrschaftskritisch. Denn eben an diesem
Punkt ist der Tourismus nicht nur Bühne, die ohnehin existierende
Verhältnisse wieder spiegelt, sondern auch Akteur ­ Tourismus entfaltet
diskursive und materielle Macht.

Gerne schreiben wir zu unserem hier angedeuteten Vorschlag ein kleines
Paper, um die Fragestellung zu konkretisieren und aufzuweiten. Da wir als EU
finanziertes Projekt ja ohnehin an dem Thema arbeiten, wäre hier eine
Überschneidung mit dem Backstage Projekt sicherlich eine auch finanziell
machbare Sache. Für¹s erste könnten wir uns vorstellen, eine Arbeitsgruppe
dazu nach Freiburg einzuladen - vorausgesetzt es gibt Interessenten.

Soweit unser “Feedback³, es waren zwei wirklich anregende und interessante
Tage in Graz, mit Reisekatalogwetter und Momenten touristischer Erfüllung ­
etwa, im Sonnenschein vom Uhrturm auf Graz schauen.


herzliche Grüße
Manuel Geller und Martina Backes




Hier noch ein paar Literaturtipps:


Das ŒAndere¹. Eine postkoloniale Erzählung. Nina Rao. In: Backes et al.
(Hg.), Im Handgepäck Rassismus. Beiträge zu Tourismus und Kultur, Freiburg
2002

Das Unbehagen im Multikulturalismus. Rassismus als Symptom des globalen
Kapitalismus. Slavoj Zizek. In: Das Argument 224, 1998. S. 51-63.

Die Politik der Verortung. Eine Postkoloniale Reise zu
einer Anderen Geographie der Welt. Julia Losseau. Bielefeld 2002.

Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen.
Zygmunt Bauman. Hamburg 1997.

Im Handgepäck Rassismus. Beiträge zu Tourismus und Kultur. Martina Backes;
Stephan Günther, Tina Goethe und Rosaly Magg. iz3w 2002. www.iz3w.org

Meilensteine und Fallstricke der Tourismuskritik. Martina Backes und Tina
Goethe. In: 
Peripherie 89, 2003.

Mit weißem Blick. Bilderwelten im Reisekatalog. Jessica Olsen. In: Backes et
al. (ebd.) 

Psychologie des Rassismus. Mark Terkessidis. Opladen 1998.

Rassismus als ideologischer Diskurs. Stuart Hall. In: Räthzel, Nora (Hg.):
Theorien über Rassismus. Hamburg 2000.