[Backstage-list] Tourismus als Thema von Kunstausstellungen

Michael Zinganel zinganel at t0.or.at
Mo Feb 2 14:15:43 CET 2004


Um über den Kontext zu informieren, in dem BACKSTAGE*Tourismus als Projekt
im Kunstbetrieb operiert, ein paar Hinweise auf vergangene Kunstprojekte zum
Thema Tourismus. Verständlicherweise wollen wir diese Projekte nicht
mimetisch nachstellen, sondern einen - inhaltlich - anderen Zugang eröffnen:
nicht über die Reisenden selbst, seien diese nun Touristenmassen, selbst
beauftragte Forschungsteams oder eben KünstlerInnen, sondern über die
DienstleisterInnen.
Die Kataloge der u. a. Projekte sind selbstverständlich Bestandteil unseres
Archivs.

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Touristische Blicke

Kunstverein Wolfsburg
11.05.02 - 25.08.02

Mit Heinrich Heidersberger (D), Isa Rosenberger (A), Helmut & Johanna Kandl
(A), Anny & Sibel Öztürk (TK), Christina Zück (D) & Nada Sebestyén (D),
Janice Kerbel (GB)
Kuratorin: Doris Berger

Tourismus entfaltet sich im Spannungsfeld von kulturell vermittelten
Phantasien und realer Ortsveränderung, bemerkt der Soziologe Christoph
Hennig. Die touristische Wahrnehmung liefert kein "realistisches" Bild der
besuchten Gebiete; sie konstruiert eigene Erfahrungsräume, die wesentlich
durch Phantasie und Projektion geformt werden. Touristen nehmen also immer
nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit wahr, nämlich den, der bereits durch
die kulturell vermittelten "Images" ausgeprägt ist. Fremde Länder und
Kulturen werden meist nur so erfahren, wie sie durch Reiseveranstalter,
Buchautoren und Tourismusagenturen vormittelt wurden. Touristen sind also
weniger auf der Suche, eine fremde Kultur oder Natur kennen zu lernen,
sondern ihre Vorstellungen Wirklichkeit werden zu lassen. So werden viele
Reiseerlebnisse inszeniert und konstruiert, was besonders in der
Dokumentation von Reisen sichtbar wird.

Die eingeladenen KünstlerInnen werden sich im Spannungsfeld zwischen
bekannten Blicken der Fremde (Klischeevorstellungen) und deren Herkunft
sowie alternativen Versuchen, fremden Welten und Kulturen auf die Spur zu
kommen, bewegen. Es werden unterschiedliche Perspektiven auf Blicke und den
"Wahrheitsgehalt" touristischer Bilder sichtbar werden.

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Routes - Imaging Travel and Migration

Grazer Kunstverein 
Sonntag 27. Oktober 2002 - Sonntag 22. Dezember 2002

Mit Zeigam Azizov, Martin Beck, Emily Jacir, Gülsün Karamustafa, Dorit
Margreiter, Lisl Ponger, Tim Sharp, Vivian Sundaram
Kurator: Christian Kravagna
    

Die Ausstellung versammelt künstlerische Reflexionen zu Reise und Migration.
Sie thematisiert die wechselseitigen Bedingungen von Ortsveränderung und
Bildproduktion. Reisen erzeugen Bilder, und Bilder lösen Reisen aus. Räume
zwischen hier und dort werden durch Bilder aufgefüllt, die im persönlichen
wie kollektiven Selbstverständnis Vorstellungen von Eigenem und Fremdem
festigen, aber auch transformieren können.
  
Unterwegs rivalisieren reale Erfahrungen mit vorab existierenden
Einstellungen, ihre Überlagerungen werden in neue Bilder übersetzt, in
Erzählungen integriert und in die Vorstellungswelten anderer Subjekte
eingespeist. Viele Bilder verblassen, einige setzen sich durch, werden
öffentlich und erlangen Definitionsgewalt über historisch-politische
Konstellationen. Andere Bilder bleiben in privaten Archiven und persönlichen
Erinnerungen gespeichert und können später der Formulierung von abweichenden
Darstellungen derselben Konstellationen dienen.
Aus welchen Übersetzungsprozessen resultiert die scheinbare
Selbstverständlichkeit bestimmter Darstellungsformen des Fernen, des
Fremden, des Anderen? Welche gesellschaftlichen Funktionen und diskursiven
Rahmungen halten sie am Leben? In welchen Bildern finden sich persönliche
Routen (zwischen vertrauten und unvertrauten Orten, zwischen Heimat und
Exil, zwischen alter und neuer Heimat) wieder und von welchen werden sie aus
dem Bereich des Sichtbaren verdrängt? Wie lassen sich die Vielfalt und
Spezifik konkreter Migrations- und Reiserouten in visuelle Narrative fassen,
um sie gegen die standardisierten Weltbilder zu wenden?
Die künstlerischen Arbeiten in "Routes" gehen den Verhältnissen von
dominanten und minoritären Repräsentationen, von privaten und öffentlichen
Bildern nach. Sie handeln von Konventionen der Ortsbeschreibung und Genres
der Reiseerzählung. Sie bestimmen paradigmatische Momente des
Unterwegs-Seins von Menschen und Bildern und befragen ihre ideologische
Grundierung beziehungsweise erkenntniskritischen Potentiale.

Zu allen Zeiten hat es bestimmte Orte gegeben, an denen Reisende mit
unterschiedlichen Motiven des Unterwegs-Seins aufeinander trafen und
Geschichten austauschten, deren Bilder von anderen Ländern und Menschen
wiederum mit den Zuhörern weiter reisten und, häufig abgewandelt, an anderen
Orten wiedergegeben wurden. Die Ausstellung macht den Grazer Kunstverein für
einige Wochen zu einem derartigen Umschlagplatz für individuelle Reflexionen
über Mobilität und Imagination vor dem zeitgenössischen Hintergrund der
Gleichzeitigkeit von reduktiven Weltbildern und multiplizierten
Beweg-Gründen.

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Zwei weitere Tourismus bezogene Kunstprojekte, eines in einer ländlichen
Region in der Schweiz und eines in Wien (an beiden hat übrigens Sofie
Thorsen teilgenommen)

http://www.site-seeing.at/
http://www.publicplaiv.ch/

Sowie eine Ausstellung zum Thema Hotel in Linz

http://www.landesgalerie.at/ausstellungen/hotel_hotel.html

Zum Genre Hotel als Kunstprojekt bzw. von KünstlerInnen betriebener
Dienstleistung siehe auch:

http://www.haus-koebberling.de/
http://www.k3000.ch/bulletin/kollektive_arbeit/archive/site002.html