+comunity+ [Fwd: brukman]

angelika reitzer a.reitzer at mur.at
Mi Apr 23 14:54:06 CEST 2003


zur abwechslung nachrichten aus buenos aires, details rund um die 
räumung der besetzten fabrik letzte woche von meiner freundin konstanze, 
die seit einem jahr in b.a. lebt.
von den beiden erwähnten "alice & andreas" sind übrigens mit einem 
artikel in der letzten springerin präsent (»Boheme und Protest. 
Strategien ästhetischen Widerstands. Eindrücke aus Argentinien« von 
Alice Creischer & Andreas Siekmann)


-------- Original Message --------
Subject: brukman
Date: Tue, 22 Apr 2003 02:17:10 -0300
From: Konstanze Schmitt <konstanzeschmitt at gmx.net>
To: angelika reitzer <a.reitzer at mur.at>



Liebe Freunde,
ich bin wütend und empört und traurig: abgesehen von den ganzen
ungerechtigkeiten auf der welt, und den besonderen, die sich die unsere
nordamerikanischen freunde leisten, sind hier in argentinien die
arschlöcher auch nicht gerade untätig. Oh mann. Also, es gibt ja ­ um
den kontext ein bisschen herzustellen ­ in argentinien an die 180
"besetzte" Fabriken. Eigentlich selbstverwaltete Fabriken", es ist nicht
ganz das was man in europa unter besetzen versteht. Laufen auch keine
punker drin rum, keine hunde, sondern die arbeiter, die da vorher auch
gearbeitet haben. Als 2001 die wirtschaft den bach runterging, haben
viele betriebe bankrott gemacht. Die besitzer haben erst schulden
gemacht, monatelang den lohn nicht bezahlt, und haben dann die läden
geschlossen. Die arbeiter waren arbeitslos, hatten kein geld mehr (da
sie schon mehrere monate gratis gearbeitet hatten). Die sozialhilfe
(wenn man das so nennen kann, "plan trabajar" heisst die ironischerweise
beträgt 150 pesos (40 euro) im monat. An die kommt man wiederum nur über
den sogenannten puntero, den politkader des viertels, der sie gegen
gegenleistung verteilt (nach dem motto "wähle die richtige partei, und
du bekommst dein brot") .also gut, jetzt wird es schon etwas komplex.
Kommt davon, wenn man ein halbes jahr nichts schreibt dazu. Für 150
pesos darf man übrigens dann auch laternen putzen oder öffentliche
bauarbeiten machen. Extrem billige arbeitskraft.
Jetzt aber zu brukman: die firma mit dem so schön angedeutschten namen
stellte jahrelang herrenkollektionen für yves saint laurent u.a.
edelmarken her. Klassische anzüge. Hauptsächlich frauen in einem
sechziger jahre bau im zentrum, der mit getönten scheiben und beton an
den guten alten palst der republik erinnert. Natürlich kleiner. Haben 80
leute drin gearbeitet. Nach der schliessung und kurz bevor es dann in
argentinien so richtig gekracht hat (als am 19. Hunderttausende auf die
straße gingen und am 20. über 30 junge leute von der polizei und
sicherheitskräften abgeschossen wurden), also am 18. Dezember 2001 haben
sie, die frauen und ihre männlichen kollegen, die fabrik besetzt. Und
wieder angefangen zu arbeiten. 50 leute haben sich mühe gegeben,
zusammen gearbeitet, sich andauernd beraten, tag und nacht hat jemand
die fabrik betreut. Die frauen haben ihre kinder zur arbeit mitgebracht.
Alle zahlten sich den gleichen lohn aus. 800 pesos. Viele abnehmer
hatten sie noch, auch wenn sie die anzüge jetzt ohne label und rechnung
verkauft haben. Manche haben was dazu gelernt. Haben statt ärmel
zuschneiden auch mal knöpfe genäht, taschen gesetzt. Natürlich waren sie
nun viel öfter und länger in der fabrik, es gab viel zu organisieren.
anderen fabriken ging es genauso. Ein paar ehen gingen in die brüche.
Ein paar maschinen gingen auch in die brüche, als die polizei an einem
sonntag im november versuchte, zu räumen. Sie schlugen die drei frauen,
die wachdienst hatten, und zerstörten computer und maschinen. Zum glück
kamen bald sehr viele leute, denn brukman war schon bekannt. Ein symbol
dafür, dass man in der ganzen scheisse es auch anders versuchen kann,
dass arbeit nicht ausbeutung heissen muss. Die unterstützung war ihnen
sicher.
Dass die polizei allerdings in der nacht zum karfreitag mit linienbussen
vorfährt, 200 mann hoch, und die drei leute da drinnen hochkant
raussschmeisst und die ganze straße abzäunt, ok, mit sowas hatte keiner
gerechnet. Trotzdem waren eine stunde später leute da, am morgen danach
dann auch ich. Da hab ich es erfahren, und eigentlich hätten wir wichtig
was arbeiten müssen. Wir sind hingefahren.
Was ich hier noch einschieben muss: andreas und alice hatten den
brukmans ein projekt vorgeschlagen. Eine modeschau zu machen, die die
geschichte der aneignung der fabrik und der arbeit erzählt. Das wollten
wir zusammen mit ein paar leuten von denen machen. Juri, der bolivianer,
celia, die parteiführerin (ost) und gladis, "guerrero?" "ja, die dicke
mit den gaanz langen haaren" wie ich am telefon mehrmals sagen musste.
Mit denen saßen wir zweimal in der fabrik, einmal in der sitzecke
eingang (leder, passend zum gebäude), einmal im versammlungsraum, der
nichts weiter ist als ein teil der mittleren werketage, die maschinen
  und tische etwas weggeräumt, bei ganz süßem mate aus einem roten
blechtässchen. Um einen kleinen tisch, aber in einem viel zu großen
kreis. Brukman war immer sehr beschäftigt ­ und sehr streng. Ok, wir
hatten den vorschlag vorgebracht, auch in kopie, und warteten auf die
entscheidung und das interesse der vollversammlung. Und warteten (daher
dann auch meine anrufe ...). am gründonnerstag dann die mail von gladis,
die wirklich eine ganz süße ist:
Konstanze: wir hatten versammlung und euer vorschlag ist angenommen.
Lass uns nächste woche treffen.
Und ein paar stunden später die mail von verodie: brukman ist geräumt,
wir haben es gerade erfahren. Verbreitet diese nachricht. Geht zu brukman.
Am freitag waren es wenig leute, vielleicht zweihundert. Naomi klein
hatte aber bereits gesprochen und filmte schon vom dach des eckhauses.
(sie hatte es mal wieder geschafft, den besten platz zu kriegen). Die
fernsehjournalisten standen unten mit ihren stinkigen transportern.  Am
samstag waren es mehr, am sonntag noch viel mehr. Es kamen leute von
außerhalb. Abends spielte eine kapelle zum tango auf. (hab ich leider
verpasst, weil ich halbkrank im kino war und spike lee 25th hour gesehen
hab ­ nicht zu empfehlen). Heute waren es an die 5000, die vor der
absperrung auf der avenida jujuy demonstrierten. Arbeitslosenbewegungen
aus der vorstadt, andere besetzte fabriken wie argentiniens größte
keramikfabrik zanón und der supermarkt tigre, gewerkschaften und
natürlich die poplinke, jetzt aber massiv. Und natürlich die mütter von
der plaza de mayo, die "madres", die eigentlich auf keiner demo fehlen.
Die verhandlungen mit dem richter, der auch schon zur zeit der
militärdiktatur (76­83) seinen beruf ausübte, über eine rückgabe der
fabrik, scheiterten. Zitat: "leben und arbeit haben kein vorrecht
gegenüber den interessen der wirtschaft". Man muss noch dazu sagen, dass
der richter im fall brukman vor einer woche ausgewechselt wurde. Der
vorgänger hatte sich auf die seite der arbeiter geschlagen gehabt.
Eine absperrung fiel, die polizei fing an zu prügeln, zu schiessen (und
sie hatten auch scharfe munition), die leute durch die straßen zu jagen.
Wie durch ein wunder ist keiner tot. 200 leute sind verhaftet, viele im
krankenhaus. Am sonntag sind wahlen.
Bis bald,
Konstanze

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