{\rtf1\mac\ansicpg10000\uc1 \deff0\deflang1031\deflangfe1031{\upr{\fonttbl{\f1\fnil\fcharset256\fprq2{\*\panose 00020b06040202020202}Arial;}{\f4\fnil\fcharset256\fprq2{\*\panose 00020005000000000000}Times{\*\falt Times New Roman};} {\f87\fnil\fcharset256\fprq2{\*\panose 00020b06040305040402}Verdana;}}{\*\ud{\fonttbl{\f1\fnil\fcharset256\fprq2{\*\panose 00020b06040202020202}Arial;}{\f4\fnil\fcharset256\fprq2{\*\panose 00020005000000000000}Times{\*\falt Times New Roman};} {\f87\fnil\fcharset256\fprq2{\*\panose 00020b06040305040402}Verdana;}}}}{\colortbl;\red0\green0\blue0;\red0\green0\blue255;\red0\green255\blue255;\red0\green255\blue0;\red255\green0\blue255;\red255\green0\blue0;\red255\green255\blue0; \red255\green255\blue255;\red0\green0\blue128;\red0\green128\blue128;\red0\green128\blue0;\red128\green0\blue128;\red128\green0\blue0;\red128\green128\blue0;\red128\green128\blue128;\red192\green192\blue192;}{\stylesheet{ \widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \f4\lang1031\cgrid \snext0 Normal;}{\s1\keepn\widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \b\f1\fs20\cf1\lang1031\cgrid \sbasedon0 \snext0 heading 1;}{ \s2\keepn\widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \b\f87\fs48\cf1\lang1031\cgrid \sbasedon0 \snext0 heading 2;}{\s3\keepn\widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \f4\fs48\lang1031\cgrid \sbasedon0 \snext0 heading 3;}{\*\cs10 \additive Default Paragraph Font;}{\s15\widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \b\f4\fs18\cf1\lang1031\cgrid \sbasedon0 \snext15 Body Text;}{\s16\widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \f4\fs20\cf1\lang1031\cgrid \sbasedon0 \snext16 Body Text 2;}}{\info{\title S T \'80 D T E}{\author Cordula Daus}{\operator Michael Zinganel}{\creatim\yr2004\mo2\dy3\hr22\min51}{\revtim\yr2004\mo2\dy3\hr22\min51}{\version2}{\edmins0}{\nofpages4} {\nofwords2852}{\nofchars16258}{\nofcharsws19965}{\vern8243}}\paperw11906\paperh16838\margl1417\margr1417\margt1417\margb1134 \deftab708\ftnbj\aenddoc\hyphhotz425\noxlattoyen\expshrtn\noultrlspc\dntblnsbdb\nospaceforul\formshade\horzdoc\dghspace180 \dgvspace180\dghorigin1701\dgvorigin1984\dghshow0\dgvshow0\jexpand\viewkind1\viewscale125\pgbrdrhead\pgbrdrfoot\splytwnine\ftnlytwnine\htmautsp\nolnhtadjtbl\useltbaln\alntblind\lytcalctblwd\lyttblrtgr\lnbrkrule \fet0\sectd \linex0\headery708\footery708\colsx708\endnhere\sectdefaultcl {\*\pnseclvl1\pnucrm\pnstart1\pnindent720\pnhang{\pntxta .}}{\*\pnseclvl2\pnucltr\pnstart1\pnindent720\pnhang{\pntxta .}}{\*\pnseclvl3\pndec\pnstart1\pnindent720\pnhang{\pntxta .}}{\*\pnseclvl4 \pnlcltr\pnstart1\pnindent720\pnhang{\pntxta )}}{\*\pnseclvl5\pndec\pnstart1\pnindent720\pnhang{\pntxtb (}{\pntxta )}}{\*\pnseclvl6\pnlcltr\pnstart1\pnindent720\pnhang{\pntxtb (}{\pntxta )}}{\*\pnseclvl7\pnlcrm\pnstart1\pnindent720\pnhang{\pntxtb (} {\pntxta )}}{\*\pnseclvl8\pnlcltr\pnstart1\pnindent720\pnhang{\pntxtb (}{\pntxta )}}{\*\pnseclvl9\pnlcrm\pnstart1\pnindent720\pnhang{\pntxtb (}{\pntxta )}}\pard\plain \s3\keepn\widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\outlinelevel2\adjustright\rin0\lin0\itap0 \f4\fs48\lang1031\cgrid {\b Unsere Welt auf Reisen \par }\pard\plain \widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \f4\lang1031\cgrid {\fs20\cf1 \par Von Boris Groys \par \par \~ \par \par }\pard\plain \s15\widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \b\f4\fs18\cf1\lang1031\cgrid {\fs20 Die Ferien beginnen. Millionen ziehen in die Ferne. Aber das Fremde finden sie nicht mehr. Die St\u228\'8a dte gleichen sich an, aus lokalen Br\u228\'8auchen werden globale Trends. Alle Sehnsuchtsorte sind jederzeit erreichbar - der Tourismus hat die alten Utopien erledigt. \par }\pard\plain \widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \f4\lang1031\cgrid {\fs20\cf1 \par \~ \par \par }\pard\plain \s16\widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \f4\fs20\cf1\lang1031\cgrid {Die Stadt entstand urspr\u252\'9fnglich als Zukunftsprojekt: Man zog vom Land in die Stadt, um sich den alten M\u228\'8a chten der Natur zu entziehen und eine selbst bestimmte Umwelt zu schaffen. Die ganze bisherige menschliche Geschichte ist durch diese Bewegung vom Land in die Stadt bestimmt. Zwar wurde das Leben auf dem Lande immer wieder als goldenes Zeitalter des \u171 \'c7nat\u252\'9frlichen\u187\'c8 Gl\u252\'9fcks stilisiert. Aber diese versch\u246\'9anerten Erinnerungen hinderten die Menschen keineswegs, den einmal eingeschlagenen Weg weiter zu gehen. \par }\pard\plain \widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \f4\lang1031\cgrid {\fs20\cf1 \par Die Stadt besitzt also eine utopische Dimension, weil sie sich jenseits der nat\u252\'9frlichen Ordnung situiert. Der Ort der Stadt ist der Utopos. Fr\u252\'9fher markierten Stadtmauern den utopischen Charakter. Je utopischer eine Stadt sein sollte, desto schwieriger musste es sein, sie zu betreten, sei es das tibetische Lhasa, das himmlische Jerusalem oder das indische Shambala. Die Stadt isolierte sich, um ihren eigenen Weg in die Zukunft zu gehen. Die genuine Stadt ist als o nicht nur utopisch, sondern auch anti-touristisch: Sie isoliert sich vom Raum und bewegt sich in der Zeit. \par \par Der Kampf gegen die Natur h\u246\'9arte freilich auch innerhalb der Stadt nie auf. Schon Descartes stellt am Anfang seiner Untersuchung \u252\'9fber die Methode fest, dass die St\u228\'8a dte, die historisch gewachsen sind und sich deswegen der Irrationalit\u228\'8at nat\u252\'9frlicher Ordnung nicht vollkommen entziehen konnten, eigentlich vollst\u228\'8andig niedergerissen werden sollten, um eine neue, vern\u252\'9f nftige, vollkommene Stadt aufzubauen. Sp\u228\'8ater forderte Le Corbusier \u196\'80hnliches. Die Utopie der vollst\u228\'8andigen Vern\u252\'9fnftigkeit, \u220\'86bersichtlichkeit und Kontrollierbarkeit der st\u228\'8adtischen Umwelt f\u252\'9f hrte zur Entfaltung einer historischen Dynamik, die sich im permanenten Umbau aller Bereiche des st\u228\'8adtischen Lebens manifestiert. So ist die Stadt zum Ort der Revolutionen, der st\u228\'8andigen Neuanf\u228\'8ange, der fl\u252\'9f chtigen Moden geworden. Als gesch\u252\'9ftzter Ort der Sicherheit gebaut, wurde die Stadt zur B\u252\'9fhne der Kriminalit\u228\'8at, der Unsicherheit, der Anarchie, des Terrorismus. So pr\u228\'8a sentiert sich die Stadt als eine Mischung aus Utopie und Dystopie, wobei die Moderne zweifelsohne mehr das Dystopische als das Utopische an der Stadt sch\u228\'8atzt und liebt - die Dekadenz, die Gefahr, das Unheimliche. Es ist die Stadt, wie sie zum Bei spiel in Blade Runner oder in den Terminator-Filmen dargestellt wird, in denen st\u228\'8andig gesprengt und verbrannt wird, weil immer neu f\u252\'9fr das Kommende, f\u252\'9fr das Zuk\u252\'9f nftige Platz geschaffen werden soll - aber immer wieder die Ankunft des Zuk\u252\'9fnftigen verhindert und verschoben wird, weil die Reste des schon Gebauten sich nicht vollst\u228\'8a ndig abtragen lassen und so die Vorbereitung nie zum Abschluss kommt. Wenn es in unseren St\u228\'8adten \u252\'9fberhaupt etwas Dauerhaftes gibt, dann diese st\u228\'8andige Vorbereitung zur Schaffung von etwas Dauerhaftem, eine st\u228\'8a ndige Verschiebung der endg\u252\'9fltigen L\u246\'9asung, ein st\u228\'8andiges Umbauen, eine dauerhafte Reparatur. \par \par \~ \par }\pard\plain \s1\keepn\widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\outlinelevel0\adjustright\rin0\lin0\itap0 \b\f1\fs20\cf1\lang1031\cgrid {\f4 Durch uns Touristen wird das Vorl\u228\'8aufige zum Ewigen \par }\pard\plain \widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \f4\lang1031\cgrid {\fs20\cf1 \par Allerdings wurde dieser utopische Impuls in der Moderne schw\u228\'8acher und schw\u228\'8acher - und allm\u228\'8ahlich von der Faszination des Tourismus abgel\u246\'9a st. Wenn wir heute mit dem Lebensangebot unserer eigenen Stadt nicht mehr zufrieden sind, dann versuchen wir nicht, diese Stadt zu \u228\'8andern, sondern fahren einfach in eine andere Stadt, um dort zu finden, was wir bei uns vermissen. Die Mobilit\u228 \'8at zwischen den St\u228\'8adten - in allen Formen des Tourismus und der Migration - hat sowohl unser Verh\u228\'8altnis zur Stadt wie auch unsere St\u228\'8adte selbst grunds\u228\'8atzlich ver\u228\'8andert. Globale Vernetzung und Mobilit\u228\'8a t haben den st\u228\'8adtischen Utopos wieder in die Topografie eines globalisierten Raums eingeschrieben. Nicht zuf\u228\'8allig sprach McLuhan nicht von einer Weltstadt, sondern von einem Weltdorf. F\u252\'9fr Touristen wie f\u252\'9f r Migranten wird das Land, auf dem die Stadt steht, wieder zum Hauptthema. \par \par Vor allem die erste Phase des modernen Tourismus, die ich als romantische Phase bezeichnen m\u246\'9achte, hat eine dezidiert anti-utopische Haltung produziert. Der romantische Tourismus im Sinne des 19. Jahrhunderts interpretiert die Stadt als Summe ihre r touristischen Sehensw\u252\'9frdigkeiten. Er sucht nicht nach universalen utopischen Entw\u252\'9frfen, sondern nach kulturellen Differenzen und lokalen Identit\u228\'8a ten. Sein Blick ist nicht utopisch, sondern konservativ - nicht in die Zukunft gerichtet, sondern an der Herkunft orientiert. \par \par Der romantische Tourismus ist eine Maschine zur Verwandlung des Vorl\u228\'8aufigen ins Endg\u252\'9fltige, des Zeitlichen ins Ewige. Wenn der Tourist eine Stadt auf seiner Durchreise besucht, pr\u228\'8a sentiert sie sich seinem Blick als ein Ensemble von Bauten , die immer schon da waren und immer so bleiben. Der Tourist kann den geschichtlichen Wandel nicht sehen und damit auch nicht den utopischen Impuls. Der romantische Blick schafft die Utopie ab, indem er sie realisiert. Er monumentalisiert und verewigt, wo rauf er sich richtet. Und die Stadt passt sich an diese realisierte Utopie an - an den Medusenblick des romantischen Touristen. \par \par Die Monumente einer Stadt stehen n\u228\'8amlich nicht immer schon da und warten auf den Touristen, um von ihm gesehen zu werden, sonder n erst der Tourismus schafft die Monumente. Erst durch den Tourismus wird eine Stadt monumentalisiert - erst vor seinem Blick wird der st\u228\'8andig flie\u223\'a7ende st\u228\'8a dtische Alltag zum Bild der Ewigkeit. Die Zunahme des Tourismus bedeutet auch eine zunehmende Geschwindigkeit der Monumentalisierung. Wir erleben eine Explosion der Ewigkeit oder, genauer gesagt, der Verewigung in unseren St\u228\'8a dten. Heute sind es nicht nur anerkannte Monumente wie etwa der Eiffelturm oder der K\u246\'9alner Dom, die uns aufbewahrungsw\u252\'9frdig scheinen, sondern alles, bei dem wir das vertraute Gef\u252\'9fhl der Best\u228\'8a ndigkeit haben. Auch wenn man in der South Bronx von New York beobachtet, wie die Drogendealer aufeinander schie\u223\'a7en, bekommt die Szene die W\u252\'9frde des Monumentalen. Man denkt: Ja, hier war es immer so und wird es immer so sein, diese malerischen Jungs und diese romantischen Stadtruinen und diese \u252\'9fberall lauernde Gefahr. Und wenn man sp\u228\'8ater in Zeitungen liest, dass die Gegend saniert werden soll, ist man best\u252\'9f rzt und empfindet die gleiche Trauer, wie wenn man erfahren w\u252\'9frde, dass der K\u246\'9alner Dom oder der Eiffelturm gesprengt w\u252\'9frden, um durch ein Kaufhaus ersetzt zu werden. Man denkt: Hier wird ein St\u252\'9fck authentischen Lebens zerst \u246\'9art, hier wird alles platt gemacht und banalisiert. \par \par Zum ersten Mal wird die Figur des global reisenden Touristen auf der Suche nach \u228\'8asthetischen Erlebnissen \u252\'9f brigens bei Kant philosophisch thematisiert - und zwar in seiner Theorie des Erhabenen (in der Kritik der Urteilskraft). Der romantische Tourist ist dort derjenige, der sogar seinen eigenen Untergang als m\u246\'9a gliches Reiseziel erkennt - und gleichzeitig als erhabenes Ereignis zu erleben imstande ist. F\u252\'9fr das mathematisch Erhabene w\u228\'8ahlt Kant Berge oder Ozeane, die den normalen Ma\u223\'a7stab des menschlichen Vorstellungsverm\u246\'9agens zu \u252\'9fbersteigen scheinen. F\u252\'9fr das dynamisch Erhabene nennt er gewaltige Naturereignisse wie St\u252\'9frme, Vulkanausbr\u252\'9f che und sonstige Katastrophen, die durch ihre Gewalt unser Leben bedrohen. Freilich sind diese Bedrohungen, zu denen der romantische Tourist reist, nicht als solche erhaben - so wie die st\u228\'8a dtischen Monumente nicht als solche monumental sind. Die Erhabenheit liegt nach Kant in \u171\'c7keinem Dinge der Natur\u187\'c8, sondern im \u171\'c7Verm\u246\'9agen, welches in uns gelegt ist\u187\'c8 , die Dinge, die uns bedrohen, ohne Furcht zu beurteilen und zu genie\u223\'a7en. \par \par Das Subjekt der unendlichen Vernunftideen ist f\u252\'9fr Kant vor allem ein Tourist, der immer wieder das Ungew\u246\'9ahnliche, das Enorme und die Gefahr sucht, um seine \u220\'86berlegenheit, seine Erhabenheit der Natur gegen\u252\'9f ber unter Beweis zu stellen. Nun verweist Kant an anderer Stelle aber zugleich darauf, dass etwa Alpenbewohner, die ihr ganzes Leben in den Bergen verbringen, diese keineswegs als erhaben betrachten und \u171\'c7 alle Liebhaber der Eisgebirge ohne Bedenken f\u252\'9fr Narren\u187\'c8 halten. Der Blick des romantischen Touristen bleibt also zu Zeiten Kants dem Blick des b\u228\'8auerlichen Bergbewohners radikal fremd. Inzwischen hat sich die Situation v\u246\'9a llig ge\u228\'8andert. Auch wenn die Bev\u246\'9alkerung den international reisenden Touristen nach wie vor f\u252\'9fr einen Narren h\u228\'8alt, f\u252\'9fhlt sie sich - schon aus \u246\'9akonomischen Gr\u252\'9f nden - zunehmend verpflichtet, den globalisierten Blick, der auf sie selbst gerichtet ist, zu \u252\'9fbernehmen und ihre eigene Lebensweise dem Geschmack des Touristen anzupassen. Und nicht nur das: Auch die Bergbewohner beg innen zu reisen und werden ihrerseits zu Touristen. \par \par Unsere Zeit ist also eine Zeit des postromantischen, das hei\u223\'a7t des komfortablen und zugleich totalen Tourismus, der ein neues Verh\u228\'8altnis zwischen dem st\u228\'8adtischen Utopos und der Topografie dieser Erde mar kiert. Nicht nur einzelne romantische Touristen, sondern alle m\u246\'9aglichen Menschen, Dinge, Zeichen und Bilder, die allen m\u246\'9a glichen lokalen Kulturen entstammen, verlassen ihre angestammten Orte und begeben sich auf Weltreise. Die strenge Opposition zwischen dem reisenden Touristen und der sesshaften Bev\u246\'9a lkerung verschwindet. Die Stadt wartet nicht mehr auf den Touristen - sie beginnt selbst global zu zirkulieren. Dabei bewegt sich die Stadt deutlich schneller, als der individuelle romantische Tourist sich zu bewegen vermag. \par \par \~ \par }\pard\plain \s1\keepn\widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\outlinelevel0\adjustright\rin0\lin0\itap0 \b\f1\fs20\cf1\lang1031\cgrid {\f4 Wo wir auch hinkommen - wir sehen Vertrautes \par }\pard\plain \widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \f4\lang1031\cgrid {\fs20\cf1 \par Das ist der Grund der Klage, dass sich die St\u228\'8adte zunehmend \u228\'8ahneln. Dieser Eindruck legt dem Beobachter oft den falschen Schluss nahe, dass lokale kulturelle Besonderheiten, Identit\u228\'8aten und Di fferenzen im Prozess der Globalisierung verschwunden seien. In Wahrheit sind sie nicht verschwunden, sondern haben sich ihrerseits auf die Reise gemacht - und begonnen, sich weltweit zu verbreiten. L\u228\'8angst k\u246\'9annen wir die chinesische K\u252 \'9fche auch in New York, Paris oder Dortmund genie\u223\'a7en. Und wenn man sich fragt, in welchem kulturellen Kontext sie am besten schmeckt, so muss die Antwort nicht unbedingt China lauten. \par \par Das Lokale verschwindet nicht; vielmehr wird es global. Die Unterschiede zwischen den St\u228\'8adten werden zu innerst\u228\'8a dtischen Unterschieden. Es entsteht eine globale Weltstadt, die das globale Dorf ersetzt. Sie reproduziert alles Lokale, das in einer bestimmten Stadt entsteht, in allen anderen St\u228\'8adten der Welt. So werden sich die St\u228\'8adte \u228\'8a hnlich, ohne dass eine bestimmte Stadt f\u252\'9fr die anderen als Modell dienen w\u252\'9frde. Wenn in New York eine neue Variante von Rap-Music auftaucht, beeinflusst sie sogleich auch den Klangraum anderer St\u228\'8adte. \par \par Vor allem aber verbringen K\u252\'9fnstler und Intellektuelle ihre meiste Zeit auf Durchreise - von einer Ausstellung zur anderen, von einem Projekt zum anderen, von einem Vortrag zum anderen, von einem lokalen kulturellen Kontext zum anderen. Von jedem einzelnen aktiven Teilnehmer der Kulturszene wird erwartet, dass er seine Produ ktion einer globalen \u214\'85ffentlichkeit anbietet. Damit sind sowohl Hoffnungen als auch \u196\'80ngste verbunden. Zun\u228\'8achst einmal bietet sich dem K\u252\'9fnstler die M\u246\'9a glichkeit, dem Druck eines lokal herrschenden Geschmacks auf relativ schmerzlose Weise zu entgehen. Er kann nach Gleichgesinnten \u252\'9f berall auf der Welt suchen, statt zu versuchen, sich dem Geschmack und den kulturellen Orientierungen seiner unmittelbaren Umgebung anzupassen. Damit ist \u252\'9fbrigens auch der Zustand einer gewissen Entpolitisierung der heutigen Kunst zu erkl\u228\'8a ren, der so oft beklagt wird. Der K\u252\'9fnstler von fr\u252\'9fher, der kein Verst\u228\'8andnis f\u252\'9fr sein Werk innerhalb seiner lokalen Kultur finden konnte, projizierte seine Hoffnungen vor allem auf die Zukunft - auf politische Ver\u228\'8a nderungen, die einen neuen, zuk\u252\'9fnftige n Betrachter ins Leben rufen sollten. Heute hat der utopische Impuls seine Richtung gewechselt: Man sucht nach Anerkennung nicht in der Zeit, sondern im Raum. Die Globalisierung hat die Zukunft als Ort der Utopie abgel\u246\'9a st. Statt einer avantgardistischen Politik der Zukunft praktiziert man heute eine Politik des Nomadentums, die eine utopische Dimension wieder einf\u252\'9fhrt, die in den Zeiten des romantischen Tourismus verloren schien. \par \par Das bedeutet: Als Reisende beobachten wir heute nicht so sehr unterschiedliche lokale Kontexte, sondern vielmehr andere Reisende im Kontext einer globalen, permanenten Reise, die mit dem Leben in der Weltstadt identisch geworden ist. Auch die st\u228\'8a dtische Architektur beginnt schneller zu reisen als ihre Betrachter. Sie ist fast immer schon da, wo die Touristen erst noch ankommen m\u252\'9fssen. Es \u228\'8argert diese, dass sie \u252\'9f berall auf die gleiche Architektur treffen, doch gleichzeitig beobachten und bewundern sie, wie erfolgreich sich eine bestimmte Architektur in unterschiedlichen kulturellen Kontexten durchsetzt. Wir sind heute bereit, vor allem diejenigen k\u252\'9f nstlerischen Strategien reizvoll und \u252\'9fberzeugend zu finden, die imstande sind, sich weltweit und unter den unterschiedlichsten Bedingungen der Wahrnehmung gleicherma\u223\'a7en gut zu behaupten. \par \par Was uns fasziniert, sind gerade nicht die lokal bedingten Differenzen und kulturellen Identit\u228\'8aten, sondern die k\u252\'9fnstlerischen Formen, die ihre eigene Identit\u228\'8at und Integrit\u228\'8at \u252\'9fberall durchsetzen k\u246\'9a nnen. Da wir alle Touristen geworden sind und somit nur andere Touristen beobachten k\u246\'9annen, bewundern wir bei allen Dingen, Br\u228\'8auchen und Verfahren vor allem ihre F\u228\'8ahigkeit zur Verbreitung, Selbsterhaltung, zum \u220\'86 berleben unter unterschiedlichsten lokalen Bedingungen. \par \par Die Strategien des postromantischen Tourismus l\u246\'9asen die alten Strategien der Utopie und Aufkl\u228\'8arung ab. \u220\'86berkommene Architektur- und Kunststile, politische Vorurteile, religi\u246\'9ase Mythen und traditionelle Br\u228\'8a uche sind nicht mehr dazu da, um im Namen des Universalen \u252\'9fberwunden, sondern um touristisch reproduziert zu werden. Die heutige Weltstadt ist homogen, ohne universal zu sein. Fr\u252\'9f her glaubte man, dass man erst universal denken und schaffen k\u246\'9anne, wenn man f\u228\'8ahig w\u228\'8are, seine eigene Tradition im Namen des Universalen und Allgemeing\u252\'9fltigen zu transzendieren . Deswegen war die Utopie der radikalen Avantgarde reduktionistisch: Zun\u228\'8achst einmal wollte man zu einer reinen, elementaren Form kommen, die alles Historische und Lokale abstreift, um dann f\u252\'9f r diese Form eine universale, globale Geltung zu beanspruchen. So ist die Kunst des klassischen Modernismus verfahren - erst die Reduktion auf das Wesentliche, dann die weltweite Verbreitung. \par \par Die heutige Kunst und Architektur verbreitet sich dagegen global, ohne eine solche Reduktion auf das Wesentliche und Allgemeing\u252\'9fltige zu vollziehen. Die M\u246\'9a glichkeiten der globalen Verbreitung haben die traditionelle Forderung nach Universalit\u228\'8at der Form oder des Inhalts obsolet gemacht. Die Universalit\u228\'8at des Denkens wird durch die Universalit\u228\'8at der medialen Verbreitung eines jeden lokalen Gedankenguts ersetzt. Die Universalit\u228\'8at der k\u252\'9fnstlerischen Form wird durch die globale Reproduktion einer jeden lokalen Form ersetzt. Als Folge wird der heutige Betrachter st\u228\'8a ndig mit der gleichen urbanen Umgebung konfrontiert, ohne dass man zugleich sagen k\u246\'9annte, dass die formale Beschaffenheit dieser Umgebung in irgendeinem Sinne \u171\'c7universal\u187\'c8 w\u228\'8are. \par \par In den Zeiten der Postmoderne wurde die Architektur, die in der Nachfolge des Bauhauses praktiziert wurde, als eine monotone und reduktionistische kritisiert - als eine Architektur, die alle lokalen Identit\u228\'8aten einebnet und ausl\u246\'9a scht. Heute verbreitet sich aber jeder lokale Stil genauso global, wie fr\u252\'9fher sich allein der internationale Stil verbreitet hat. So entsteht Homogenit\u228\'8at ohne Universalit\u228\'8at - eine wirklich neue, genuin gegenw\u228\'8a rtige Entwicklung. Wir haben es im Kontext des totalen Tourismus erneut mit einer Utopie zu tun, aber mit einer, die sich von der statischen Utopie der Stadt radikal unterscheidet. Sie grenzte sich vom umgebenden Land ab. He ute leben wir in einer Weltstadt, in der Wohnen und Reisen identisch geworden sind - und der Unterschied zwischen Bewohnern und Besuchern nicht mehr wahrnehmbar ist. Die Utopie der st\u228\'8a ndigen globalen Bewegung hat somit die Utopie der ewigen universalen Ordnung abgel\u246\'9ast. So hat sich auch die dystopische Dimension der Utopie ge\u228\'8andert - terroristische Zellen und neue Drogen reproduzieren sich in allen St\u228\'8a dten wie Prada-Boutiquen. \par \par Interessanterweise haben schon einige radikale Utopisten der russischen Avantgarde Anfang des letzten Jahrhunderts Projekte f\u252\'9fr St\u228\'8adte entworfen, in denen alle Wohnungen und H\u228\'8auser sowohl gleichf\u246\'9a rmig als auch beweglich sein sollten. Der Dichter Welimir Chlebnikow wollte alle Bewohner Russlands in bewohnbaren gl\u228\'8asernen Zellen auf R\u228\'8adern unterbringen, damit sie \u252\'9f berallhin fahren und alles sehen - und zugleich auch ungehindert gesehen werden k\u246\'9annen. Der Tourist und der Stadtbewohner werden identisch. Kasimir Malewitsch hat das Projekt von Chlebnikow insofern weitergef\u252\'9fhrt, als er suggeri erte, jeden Menschen in ein individuelles kosmisches Schiff zu setzen, sodass er st\u228\'8a ndig im Kosmos schweben und von einem Planeten zum anderen fliegen kann. Der Mensch wird hier zum ewigen Touristen, der dadurch selber - isoliert in seiner individuellen und stets mit sich identischen Zelle - zu einem Monument wird. \par \par \~ \par }\pard\plain \s1\keepn\widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\outlinelevel0\adjustright\rin0\lin0\itap0 \b\f1\fs20\cf1\lang1031\cgrid {\f4 Die Erde wird zum Raumschiff, Bleiben und Reisen sind eins \par }\pard\plain \widctlpar\aspalpha\aspnum\faauto\adjustright\rin0\lin0\itap0 \f4\lang1031\cgrid {\fs20\cf1 \par Das ist eine Vision, die auch dem Raumschiff Enterprise zugrunde liegt, das zu einem sich st\u228\'8andig bewegenden, utopischen oder monumentalen Raum wird, der sich \u252\'9fber die unz\u228\'8ahligen Episoden dieser Serie hinweg nie \u228\'8a ndert, obwohl - oder gerade weil - es sich st\u228\'8andig mit Lichtgeschwindigkeit bewegt. Die Utopie ist hier \u220\'86berwindung der Gegens\u228\'8atze zwischen Bleiben und Reisen, Sesshaftigkeit und Nomadentum, Stadt und Land - als totaler Raum, in dem die Topografie der Erdfl\u228\'8ache mit dem Utopos der ewigen Stadt identisch wird. \par \par Die utopische \u220\'86berwindung der Topografie wurde \u252\'9fbrigens auf eindrucksvolle Weise bereits in der Romantik gedacht. Das belegt eine Stelle aus der \u196\'80sthetik des H\u228\'8asslichen (1853) des Hegel Sch\u252\'9flers Karl Rosenkranz: \u171\'c7Nehmen wir zum Beispiel unsere Erde, so w\u252\'9frde sie, um als Masse sch\u246\'9an zu sein, eine vollkommene Kugel sein m\u252\'9fssen. Das ist sie aber nicht. Sie ist angeplattet an den Polen und geschwellt am \u196\'80quator, au\u223\'a7 erdem auf ihrer Oberfl\u228\'8ache von der gr\u246\'9a\u223\'a7ten Ungleichheit der Erhebung. Ein Profil der Erdrinde zeigt uns, blo\u223\'a7 stereometrisch betrachtet, das zuf\u228\'8a lligste Durcheinander von Erhebung und Vertiefung in den unberechenbarsten Umrissen. So k\u246\'9annen wir auch von der Oberfl\u228\'8ache des Mondes nicht sagen, dass sie mit ihrem Gewirr von H\u246\'9ahen und Tiefen sch\u246\'9an sei.\u187\'c8 Die Menschheit war, als dieser Text entstand, von der Raumfahrt technisch weit entfernt. Das Subjekt der globalen Betrachtung wird aber trotzdem schon im Geiste eines Science-Fiction-Films als Au\u223\'a7 erirdischer dargestellt, der mit dem Raumschiff aus dem All kommt und aus komfortabler Distanz das Aussehen unseres Sonnensystems \u228\'8asthetisch beurteilt. Dabei wird dem Au\u223\'a7erirdischen freilich unterstellt, dass er einen ausgesprochen klassizistischen Geschmack hat und deswegen unsere Erde und ihre unmittelbare Umgebung nicht als besonders sch\u246\'9a n empfindet. Hier manifestiert sich bereits der Blick eines vollendeten Stadtbewohners, der sich im Utopos des schwarzen kosmischen Raums bewegt und auf die Topografie dieser Welt aus einer touristischen, \u228\'8asthetischen Distanz schaut. \par \par \~ \par \par Boris Groys ist Professor f\u252\'9fr Philosophie an der Hochschule f\u252\'9fr Gestaltung Karlsruhe. Sein j\u252\'9fngstes Buch hei\u223\'a7t \u171\'c7Politik der Unsterblichkeit\u187\'c8 (Hanser) \par \par \par Unsere Welt auf Reisen von Boris Groys erschien in DIE ZEIT Nr. 29/2002 und als Zweitver\u246\'9affentlichung im Juli 2002 auf URLAUB_online (http://www.wortwerk.ch/urlaub) \par Copyright beim Autor und [wortwerk] (info@wortwerk.ch) \par }{\fs20 \par }}